Die Schwiegermutter wurde vor Schreck bleich, und die Verwandten verstummten sofort.
„Was machst du da? Leg das sofort weg!“ rief Tatjana, die am Zimmereingang stand und sichtlich entrüstet war über das, was sie sah.
„Ich wollte nur sehen, welche Apps du installiert hast“, antwortete Olya, die zukünftige Schwägerin, unschuldig.
„Na und? Was ist daran so schlimm?“
Tatjana hielt sich am Rand ihres offenen blauen Bademantels fest, aus dem sie gerade aus der Dusche gekommen war.
Ihr nasses Haar hinterließ dunkle Flecken auf den Schultern, von denen Wassertropfen hinunterliefen.
In diesem Moment erwischte sie Olya, die auf dem Sofa saß und interessiert den Inhalt ihres Telefons durchblätterte.
„Ich habe das doch nicht absichtlich gemacht! Ich war nur neugierig, welches Smartphone du hast“, versuchte sich das Mädchen zu rechtfertigen, aber ihre Augen huschten nervös umher.
Die Schwiegertochter überquerte schnell das Zimmer und riss das Telefon Olya aus der Hand.
„Man darf nicht ohne Erlaubnis in die Sachen anderer Leute greifen“, sagte Tatjana ruhig, aber bestimmt und bemühte sich, ihre Verärgerung zu kontrollieren.
„Das ist persönlicher Bereich.
Vor allem, wenn es ums Telefon geht.“
Olya schnaubte, als ob man ihr etwas Ungerechtes vorgeworfen hätte:
„Was hast du denn zu verbergen? Wenn da alles offen ist, gibt es keinen Grund für einen Skandal!“ Sie hob überheblich das Kinn.
„Oder gibt es etwas, das mein Bruder lieber nicht wissen sollte?“
Dieses Mädchen war die jüngere Schwester ihres Verlobten, und das Verhältnis zwischen ihnen war von Anfang an angespannt.
„Darum geht es nicht“, antwortete Tatjana und versuchte, ruhig zu sprechen.
„Selbst wenn ein Mensch keine Geheimnisse hat, muss das Recht auf Privatsphäre respektiert werden.
Meine Nachrichten, Fotos, Notizen — das sind meine privaten Angelegenheiten.
Und würdest du wollen, dass ich dein Telefon genauso ohne Erlaubnis nehme?“
Julia, Olyas ältere Schwester, betrat den Raum.
Sie trug einen lockeren Pullover, ihr Blick war wachsam und wanderte von einem Mädchen zum anderen.
„Was ist los? Warum bist du böse?“ fragte sie Tatjana.
Olya nutzte sofort das Erscheinen ihrer Schwester, um sich zu unterstützen:
„Ich habe nur auf ihr Telefon geschaut, und sie hat gleich eine Szene gemacht.
Sie hat wohl etwas Wichtiges versteckt“, fügte sie spöttisch hinzu.
Julia kam näher und stellte sich neben Olya.
Tatjana strich sich durch das zerzauste Haar und versuchte es noch einmal zu erklären:
„Stellt euch vor, ich nehme eure Telefone und fange an, sie durchzuschauen, lese Nachrichten an Freundinnen, sehe Fotoalben an, überprüfe den Verlauf der besuchten Seiten.
Würde euch das gefallen?“
Die Schwestern sahen sich an.
„Ich habe nichts zu verbergen“, erklärte Julia stolz und herausfordernd.
„Ich habe ein reines Gewissen.“
„Genau!“ stimmte Olya ein.
„Und wenn du so ausrastest, dann hast du meinem Bruder bestimmt etwas zu verbergen.
Er ist doch dein Verlobter, oder?“
Tatjana merkte, dass der Dialog festfuhr.
Die Schwestern verdrehten absichtlich das Problem.
Sie drehte sich abrupt um, ging schnell ins Gästezimmer, schlug die Tür zu und schloss ab.
Erst danach erlaubte sie sich einen tiefen Seufzer.
„Unglaublich.
Einfach unglaublich“, murmelte sie.
„Was für eine Frechheit — in die Sachen anderer zu wühlen und dann auch noch Vorwürfe zu machen!“
Sie setzte sich aufs Bett.
Wassertropfen fielen von ihrem Haar auf den Bildschirm ihres Telefons, als sie es entsperrte.
Genervt wischte sie sie mit dem Handrücken weg.
Plötzlich vibrierte das Gerät, und das Gesicht von Denis, der lächelte, erschien auf dem Bildschirm.
Sie zuckte zusammen, als wäre sie mit etwas Verbotenem erwischt worden, lächelte dann aber selbst.
„Hallo, Liebling“, antwortete sie.
„Hallo, Tatjuschka.
Wie geht’s dir? Was ist mit den Schwestern los?“ Die Stimme war warm, aber die Frage vorsichtig.
Tatjana rollte mit den Augen.
Die Nachrichten verbreiten sich hier schneller als das Licht.
„Das sind doch nur Kleinigkeiten.
Ich kam gerade aus der Dusche, und deine Schwester gräbt schon in meinem Telefon herum.
Ich habe nur gesagt, dass das nicht in Ordnung ist.“
Pause am Telefon.
„Und deswegen bist du so aufgeregt?“ fragte er.
„Olya sagt, du hättest fast einen Skandal gemacht.“
Tatjana zählte innerlich bis zehn.
„Es gab keinen Skandal.
Ich habe nur erklärt, dass es unhöflich ist, ohne Erlaubnis in die Sachen anderer zu greifen.“
„Na ja, wenn sie gucken will, soll sie doch“, reagierte Denis locker.
„Du hast doch nichts zu verbergen, oder?“
Die gleichen Worte, die gleiche Tonlage wie seine Schwestern.
„Darum geht es nicht“, sagte Tatjana langsam und suchte ihre Worte.
„Es geht um die Grenzen der Privatsphäre.
Jeder Mensch hat seine eigenen Angelegenheiten, Notizen, Nachrichten.
Vielleicht will ich dir eine Überraschung kaufen oder etwas Persönliches mit einer Freundin besprechen…
Das ist kein Grund zum Eingreifen.“
„Geheimnisse?“ Denis’ Stimme wurde kälter.
„Verheimlichst du mir etwas?“
Tatjana fluchte innerlich — das Wort „Geheimnisse“ war unglücklich gewählt.
„Hör auf, an den Worten zu hängen.
Ich meine normale private Sachen.
Vielleicht Nachrichten mit einer Freundin, vielleicht etwas wegen der Hochzeitsorganisation…
Jetzt muss ich mich umziehen und los — meine Schwester wartet.“
„Nur deine Schwester?“ fügte er scherzhaft hinzu, aber sein Ton war misstrauisch.
Tatjana seufzte tief und beherrschte ihren Ärger.
„Bitte fang nicht an.
Wir werden bald heiraten, erinnerst du dich? Ich muss wirklich los.
Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
„Küsse den Bildschirm“, sagte sie verspielt und legte auf, ohne ihm Zeit zu geben zu antworten.
Sie schüttelte den Kopf und spritzte Wasserreste umher.
„Es wird sich alles fügen“, wiederholte sie für sich.
„Es muss sich fügen.“
Zwanzig Minuten später verließ Tatjana bereits das Schlafzimmer.
Ihr Haar war zu einem lässigen Dutt gebunden, sie trug Jeans und eine lockere Tunika.
Sie wollte so schnell wie möglich aus dem Haus.
„Warte, ich komme mit!“ rief Julia aus der Küche.
Tatjana blieb stehen und zog erstaunt eine Augenbraue hoch.
„Wozu? Ich habe private Angelegenheiten.“
Julia zog ihre Jacke an und richtete ihre Frisur.
„Denis hat gesagt, ich soll auf dich aufpassen“, verkündete sie fast stolz.
„Er meinte, du bist aufgebracht und solltest jetzt nicht alleine sein.“
Aufpassen? Wie ein Kind oder ein Verdächtiger?
Julia bemerkte Tatjanas Stirnrunzeln und wandte sich an Olya:
„Schau, wie sie die Lippen zusammenpresst! Wahrscheinlich hat sie nicht vor, mit ihrer Schwester zusammen zu sein.
Hat unsere Tatjuschka etwa eine Affäre?“
Olya lachte, bedeckte ihren Mund mit der Hand.
Streiten war sinnlos — jedes Wort von Tatjana konnten sie gegen sie drehen.
„Wenn du gehen willst — dann los“, antwortete sie zurückhaltend.
„Aber ich warne dich: Ich gehe schnell.“
Ohne auf eine Reaktion zu warten, verließ sie die Wohnung.
Julia rannte außer Atem hinterher.
„Hey, warte!“ rief sie und versuchte, mit ihren unbequemen Schuhen mitzuhalten.
Tatjana drehte sich nicht um.
„Ich habe es gesagt.
Entweder du kommst mit oder du bleibst zurück.“
Julia murrte unzufrieden, machte aber schneller.
Tatjana ging mit großen Schritten, hörte hinter sich Julias schnelles Atmen.
„Was für ein Unsinn“, dachte sie, als sie den Hof überquerte.
„Was soll das mit dem ‚Aufpassen‘? Auf wen? Auf mich? Wir sind noch nicht mal verheiratet, und ich stehe schon unter Hausarrest.
Was kommt als Nächstes?“
Als sie nach draußen gingen, holte Julia sie endlich ein, keuchend und genervt.
„Gehst du extra so schnell?“ brummte sie.
„Ich gehe immer so“, antwortete Tatjana ruhig.
„Meine Schwester wartet in fünf Minuten am Einkaufszentrum.“
Vera stand schon am Eingang und schaute auf ihr Telefon.
Als sie ihre Schwester sah, winkte sie, aber ihr Lächeln wurde etwas blasser, als sie Julia bemerkte.
„Hallo, Schwesterherz“, umarmte Tatjana Vera.
„Das ist Julia, Denis’ Schwester.
Er hat sie gebeten, mit mir zu kommen“, fügte sie sarkastisch hinzu und machte Anführungszeichen mit den Fingern.
Vera sah sie überrascht an und entschied, dass das ein Scherz sein müsse.
„Im Ernst?“ lachte sie.
„Ihr seid doch fast verheiratet!“
„In der Familie meines Verlobten scheint Vertrauen anders definiert zu sein“, antwortete Tatjana trocken.
„Dann lasst uns ein Kleid für den Junggesellinnenabschied aussuchen“, schlug Vera vor und nahm ihre Schwester am Arm.
Im Einkaufszentrum flüsterte Vera Tatjana zu:
„Wir reden später.
Ohne neugierige Ohren.“
Tatjana nickte kaum merklich, dankbar für das Verständnis.
Während die Mädchen Schuhe in einer Boutique betrachteten, ging Julia weg und holte ihr Telefon heraus.
Tatjana bemerkte es, schaute aber weiter ein Paar Riemchenschuhe an.
„Denkst du, die passen zum Kleid?“ fragte sie ihre Schwester.
Vera nickte, aber ihre Aufmerksamkeit war auf Julia gerichtet, die leise ins Telefon flüsterte.
„Ja, Denis, wir sind im Einkaufszentrum… im Schuhgeschäft… Nein, nichts Besonderes… Sie redet nur mit ihrer Schwester…“
Vera beugte sich zu Tatjana:
„Rechenschaft ablegen?“
„Sieht ganz so aus.“
„Tatjana, was ist los?“ fragte Vera ernst und zog ihre Schwester zur Seite.
„Das ist eher Überwachung als Fürsorge.“
Tatjana erzählte kurz vom Vorfall mit dem Telefon am Morgen.
„Sie kam ins Zimmer, und sie hat schon in meinem Telefon herumgesucht.
Dann haben sie mich beide beschuldigt, als würde ich etwas verbergen.“
Vera runzelte die Stirn.
„Mir gefällt das nicht.
Das klingt sehr nach Eifersucht oder Kontrolle.“
„Nein“, schüttelte Tatjana den Kopf.
„Denis ist nicht so.
Wir sind seit anderthalb Jahren zusammen — das hätte ich gemerkt.“
„In ein paar Tagen bist du seine Frau“, erinnerte Vera und warf einen Seitenblick auf Julia, die wieder versuchte, heimlich Fotos durch die Schaufensterscheibe zu machen.
„Manchmal benehmen sich Männer ganz anders, wenn sie merken, dass die Beziehung sozusagen ‚im Sack‘ ist.“
„Quatsch“, schüttelte Tatjana den Kopf.
„Seine Schwestern sind einfach überfürsorglich.
Sie sind es gewohnt, sich um Denis zu kümmern, und jetzt meinen sie, sie müssten auch mich kontrollieren.“
Sie nahm ein Paar Schuhe aus dem Regal und fügte hinzu:
„Ich werde sie anprobieren.“
Nach mehreren Stunden Shopping gingen die Mädchen in ein Café.
Vera ging an die Bar, um zu bestellen, und ließ Tatjana allein mit Julia.
„Na, hast du den nächsten Bericht an deinen Bruder erstattet?“ fragte Tatjana, bemüht, die Frage als Scherz klingen zu lassen, obwohl sie innerlich angespannt war.
Julia sah sie ohne ein Lächeln an.
„Was denn? Gibt es Grund zur Sorge?“
„Seid ihr alle besessen von diesem Wort ‚verbergen‘?“ Tatjana beugte sich ein wenig vor.
„Sag mal, hast du selbst nichts, was du lieber vor deinem Mann verbergen möchtest?“
Julia errötete abrupt und sah weg.
„Ich weiß nicht, wovon du redest“, antwortete sie trocken.
„Okay, nur ein Scherz“, winkte Tatjana ab, überrascht von der Reaktion ihrer Schwägerin.
„Du kannst tun, was du willst.“
Julias Telefon klingelte plötzlich.
Sie griff sofort danach.
„Hallo? Ja, Denis… Wir sind im Café ‚Moskau‘, im dritten Stock… Klar, alles verstanden…“
Vera, die mit Tablett zurückkam, sah Tatjana fragend an und flüsterte leise:
„Schon der dritte Anruf in zwei Stunden?“
Tatjana zuckte nur mit den Schultern und tat so, als sei ihr das egal, aber innerlich wuchs ein unangenehmes Gefühl.
Sie kehrten schweigend nach Hause zurück.
Olya und Julia waren schon da — sie saßen im Wohnzimmer und tuschelten.
Als sie Tatjana sahen, verstummten sie, aber beide zeigten ein seltsames, fast triumphierendes Lächeln.
Tatjana nickte ihnen schweigend zu und ging schnell in ihr Zimmer, schloss die Tür.
Die gekauften Sachen warf sie ohne großes Interesse auf den Sessel.
Das Zimmer empfing sie mit Stille.
Sie zog das Telefon aus der Tasche und sah nachdenklich darauf.
Als wäre dieses gewöhnliche Gerät die Quelle aller Probleme.
Sie setzte sich aufs Bett und dachte nach: Was war mit Denis los? Früher war er anders.
In anderthalb Jahren Beziehung hatten sie alles geteilt — Freuden, Pläne, sogar kleine Missverständnisse.
Warum begann er jetzt, kurz vor der Hochzeit, ihr zu misstrauen?
Sein plötzliches Misstrauen verletzte sie mehr, als sie erwartet hatte.
Eine Idee kam ihr plötzlich — dumm, aber neugierig.
Sie griff nach dem Telefon und schrieb ihrer Schwester.
„Vera?“ flüsterte sie, aus Angst, dass Julia oder Olya mithören könnten.
„Ich brauche Hilfe.“
„Ich höre…“
„Ich dachte…“ Tatjanas Stimme wurde noch leiser, „kannst du mir ein paar Nachrichten schicken? Ohne Namen, einfach… du wirst es verstehen.“
„Okay, aber sei vorsichtig, ja?“
Nachdem sie aufgelegt hatte, legte Tatjana das Telefon mit dem Bildschirm nach oben und wartete.
Nach einigen Minuten kamen die ersten Nachrichten:
„Wie froh ich bin…“
„Ich kann es kaum erwarten…“
„Küsse…“
Sie lächelte leicht und tippte eine Antwort:
„Gleichfalls… Ich warte…“
Dann stand sie auf, ließ das Telefon offen auf dem Tisch liegen und ging ins Badezimmer.
Am Abend kam Denis früher als üblich nach Hause.
Seine Schritte waren schnell und bestimmt.
Tatjana spürte sofort, dass etwas nicht stimmte.
Sie deckte gerade den Tisch, als er hereinkam.
„Hallo“, grüßte sie.
Er antwortete nicht.
Zog nur seinen Sakko aus und warf ihn auf den Stuhl, ohne ihr einen warmen Blick zu schenken.
„Wir müssen gehen“, erklärte plötzlich Olya, die vom Sofa aufstand.
„Julia und ich haben Mama versprochen…“
„Ja, ja, stimmt, es ist schon spät“, ergänzte Julia hastig.
Beim Vorbeigehen flüsterte Olya Denis etwas ins Ohr.
Sein Gesicht wurde noch angespannter.
„Wir gehen jetzt“, seufzte Olya theatralisch.
„Dienst erledigt“, warf Tatjana ein, aber der Scherz kam nicht an.
Die Tür schloss sich hinter den Schwestern.
Tatjana ging ruhig in die Küche, schaltete den Wasserkocher an und holte Kaffee.
„Willst du?“ fragte sie über die Schulter.
„Oder lieber Tee?“
Denis kam langsam zum Türrahmen und lehnte sich daran.
„Wie war die Arbeit?“ fuhr Tatjana fort und schüttete Kaffee in eine Tasse.
„Hast du alles erledigt?“
„Wer ist er?“ fragte Denis plötzlich scharf.
Tatjana drehte sich um und sah überrascht.
„Was?“
„Tu nicht so!“ erhob er die Stimme.
„Wer ist der Typ, mit dem du schreibst? ‚Meine Liebe‘, ‚Küsse‘… Wer ist er?“
Tatjana wusste, dass jemand ihr Telefon kontrolliert hatte.
Wahrscheinlich Olya.
Und sofort ihren Bruder informiert hatte.
Ihr Experiment funktionierte schneller, als sie gedacht hatte.
„Wovon redest du?“ spielte sie unschuldig.
„Hör auf!“ schlug er mit der Hand auf den Tisch.
„Du hast jemanden! Du hast mich die ganze Zeit belogen!“
„Willst du erklären, was du meinst?“ versuchte Tatjana ruhig zu sprechen, aber innerlich wurde sie wütend.
„In zwei Tagen ist unsere Hochzeit!“ rief er.
„Und du…“
„Genau! Hochzeit!“ Tatjana versuchte ihn zu umarmen, aber er stieß sie weg.
„Endlich werden wir zusammen sein!“
„Hattest du jemanden vor mir?“ fragte er ihr direkt in die Augen.
„Natürlich.“
„Wie du auch.“
„Wir sind keine Kinder, Denis.
Jeder von uns hatte eine Vergangenheit.“
Er zögerte, drehte sich dann abrupt um und ging hinaus.
Tatjanas Telefon, das auf dem Tisch lag, vibrierte plötzlich.
Eine neue Nachricht von Vera kam — ein lustiger Sticker mit der Aufschrift: „Hat es funktioniert?“
Die Mundwinkel hoben sich unwillkürlich, doch das Lächeln verschwand sofort, als Denis zurückkam.
„Schon wieder er?“ knurrte er durch die Zähne.
Tatjana griff nach dem Telefon, doch Denis riss es ihr aus der Hand.
„Gib her!“ rief sie.
„Ich will sehen, welche ‚kleinen Geheimnisse‘ du hast“, knurrte er und versuchte, den Bildschirm zu entsperren.
„Das ist mein Telefon! Du hast kein Recht!“
„Ich weiß, dass du hinter meinem Rücken flirtest!“ schrie er.
„Was stimmt mit dir nicht?!“ Tatjana riss das Gerät los und trat zurück.
„Ich kenne dich nicht mehr!“
„Gib her!“ forderte er.
„Nein!“ Tatjana presste das Telefon in die Hand.
„Das ist Paranoia!“
Ohne weiter zu warten drehte sie sich um und ging ins Schlafzimmer.
Am Morgen, sobald Denis zur Arbeit ging, stand Tatjana vor ihrem Kleiderschrank.
Dort hing ihr Hochzeitskleid.
Langsam strich sie mit den
Fingern über den makellosen Stoff und ertastete die Spitze am Korsett.
„Was für ein schöner Tag hätte das werden sollen“, dachte sie bitter.
Der Streit vom Vortag ließ sie nicht los.
Wie konnte eine harmlose Kontrolle in so einen Skandal ausarten? Noch vor einer Woche schien Denis der vernünftigste Mensch der Welt.
Und jetzt war er zwei Tage vor der Hochzeit zu einem eifersüchtigen, misstrauischen Menschen geworden.
Die sich öffnende Haustür lenkte sie aus ihren Gedanken.
Tatjana spannte sich an, als sie Schritte hörte.
Denis kam normalerweise nicht so früh zurück.
Aber statt ihm traten drei Frauen in die Wohnung — Elizaveta Kirillovna, Denis’ Mutter, gefolgt von Olya und Julia.
„Die Verstärkung ist da“, dachte Tatjana bitterironisch und schloss leise die Schranktür.
Elizaveta blieb an der Zimmertür stehen und musterte die Schwiegertochter genau.
„Mädchen, geht in die Küche und bereitet Tee zu“, sagte sie ohne den Blick von Tatjana abzuwenden.
„Wir müssen reden.“
Olya und Julia warfen sich missmutige Blicke zu, gingen aber weg.
Tatjana bemerkte, wie sie sich vor ihrem Verschwinden noch bedeutungsvoll ein paar Worte zuraunten.
Als sie allein waren, kam Elizaveta Kirillovna näher.
Sie roch nach teurem Parfum und leichtem Zigarettengeschmack.
„Benimm dich nicht dumm, Mädchen“, begann Elizaveta ohne Umschweife.
„In ein paar Tagen ist deine Hochzeit, und du hängst hier jemandem nach.
Das ist inakzeptabel.“
„Bitte erklären Sie, was Sie unter ‚nachhängen‘ und ‚dumm‘ verstehen“, bat Tatjana ruhig und blickte nicht weg.
Elizaveta Kirillovna schnaubte, ihre Lippen zogen sich zu einem trockenen, fast verächtlichen Lächeln.
„Du weißt genau, was ich meine.“
„Ich spreche eure Sprache nicht“, antwortete Tatjana klar und selbstbewusst.
„Ich bin es gewohnt, dass Menschen direkt und sachlich sprechen.
Also sagen Sie konkret, wer was tut und warum?“
Die Schwiegermutter kniff die Augen zusammen, als wolle sie den Widerstand messen.
„Ich weiß alles“, sagte sie mit einer Stimme so kalt wie Eis.
„Dass du vor der Hochzeit jemanden nebenbei hast.
Dass du meinen Sohn betrügst.
Und sicher hast du einen ganzen Harem in Reserve…“
Tatjana schämte sich nicht für sich, sondern für sie — für ihre niedrigen Gedanken und Verdächtigungen.
Mit einem Blick am Rande sah sie, wie Olya und Julia vorsichtig aus der Küche lugten und lauschten.
Auf Julias Gesicht spielte ein selbstzufriedenes Grinsen, was für Tatjana der letzte Tropfen war.
„Ich habe euch immer mit Respekt behandelt, Elizaveta Kirillovna“, sagte sie langsam, aber bestimmt.
„Aber man sollte nicht die Wahrheit verdrehen.
Wenn jemand Seitensprünge hat, dann sucht sie besser bei euren eigenen Töchtern.“
Tatjana selbst war überrascht von ihrem Entschluss.
Elizaveta Kirillovna drehte sich scharf um und warf einen Blick auf ihre Töchter, die so taten, als hätten sie nichts gehört, aber ihre triumphierende Erregung nicht verbergen konnten.
„Gib das Telefon her“, forderte die Schwiegermutter plötzlich und streckte die Hand aus.
„Was?“ Tatjana traute ihren Ohren nicht.
„Dein Telefon“, wiederholte Elizaveta Kirillovna.
„Ich will sehen, mit wem du schreibst.“
„Ich werde nicht…“ begann Tatjana, kam aber nicht zu Ende.
Olya nutzte die Verwirrung, sprang zur Kommode, schnappte sich Tatjanas Telefon und gab es der Mutter.
„Hier, Mama“, sagte sie stolz und zufrieden.
„Gib mir mein Telefon zurück!“ schrie Tatjana und versuchte, das Gerät zurückzuholen, aber Elizaveta Kirillovna wich mühelos zurück.
Olya lachte, und dieses Lachen war so scharf und unangenehm wie das Geräusch zerbrochenen Glases.
„Gebt mir mein Telefon zurück!“ forderte Tatjana, während sie versuchte, an Julia vorbeizukommen, die ihr den Weg versperrte.
„Siehst du, ich hab’s dir doch gesagt“, spottete Julia.
„Warum bist du so nervös, wenn du nichts zu verbergen hast?“
Elizaveta Kirillovna hatte bereits den Bildschirm aktiviert und scrollte schnell durch die Nachrichten.
Ihre geübten Finger bewegten sich geschickt durch das Menü.
Tatjana versuchte erneut, das Telefon zu nehmen, aber Olya und Julia bildeten eine lebende Mauer.
„Lass mich durch!“ schrie Tatjana.
„Wie könnt ihr euch so etwas erlauben?“
„Ach Gott!“ rief die Schwiegermutter plötzlich und zeigte auf den Bildschirm.
„‚Küsse!‘ Seht her! Beweisstück!“
Sie hielt das Telefon wie eine Trophäe und zeigte es ihren Töchtern mit triumphierendem Gesichtsausdruck.
In ihren Augen funkelte Genugtuung.
„Schaut her, Mädels!“ zeigte sie auf die Nachrichten.
„‚Meine Liebe‘, ‚Küsse‘, und sie antwortet: ‚Gleichfalls, ich warte‘.
Und das alles drei Tage vor der Hochzeit!“
Julia und Olya rückten näher und betrachteten den Bildschirm mit offensichtlichem Interesse.
Auf ihren Gesichtern lag selbstzufriedene Freude, als hätten sie eine große Verschwörung aufgedeckt.
Tatjana sammelte ihre Kräfte, stieß Julia weg und riss das Telefon Elizaveta Kirillovnas aus der Hand.
„Hör auf!“ schrie sie.
„Wie sprichst du mit der Mutter meines Bruders?“ schnaubte Julia, aber Tatjana hörte nicht mehr zu.
„Ihr seid gemeine Frauen, Elizaveta Kirillovna“, ihre Stimme wurde kalt und ruhig, aber voller Verachtung.
„Und eure Töchter sind kleine, böse Gestalten, die eure kranken Ideen füttern.“
Olya und Julia sahen sich an und lachten überraschenderweise.
Dieses Lachen steigerte nur Tatjanas Wut.
„Findet ihr das lustig?“ wandte sie sich an sie.
„Wahrscheinlich, weil ihr das gewohnt seid.
Dass man euch Miststück nennt.
Dass man in fremden Taschen wühlt, heimlich lauscht, überwacht.
Ihr seid einfach niederträchtige, gemeine Menschen.
Verlasst sofort meine Wohnung!“
Olya kicherte weiter, Julia bedeckte den Mund mit der Hand.
Nur Elizaveta Kirillovna blieb ernst.
„Du Miststück!“ zischte sie und schlug Tatjana mit voller Kraft ins Gesicht, ohne ihr Zeit zum Reagieren zu lassen.
Der Klang der Ohrfeige hallte im Zimmer wider.
Sogar Olya und Julia verstummten, schockiert.
Tatjana blieb stehen.
Ihre Hand hob sich langsam zur Wange, die vor Schmerz brannte.
Sie konnte nicht glauben, dass man sie geschlagen hatte.
Zum ersten Mal in ihrem Leben.
Niemand hatte je zuvor die Hand gegen sie erhoben.
Weder in der Familie, noch in der Schule, noch sonst wo.
Langsam trat sie zurück und hielt die Hand auf die gerötete Haut.
Tränen füllten ihre Augen, aber sie hielt sie zurück — nicht hier, nicht jetzt, nicht vor diesen Frauen.
Ohne ein Wort drehte sie sich um und ging schnell ins Schlafzimmer, schlug die Tür zu und schloss ab.
Erst jetzt, allein, erlaubte Tatjana sich zu weinen.
Lautloses Schluchzen erschütterte ihren Körper, Tränen liefen über ihre Wangen.
Sie setzte sich auf den Boden, zog die Knie an die Brust und saß lange so da, keuchend vor Schmerz.
„Wie konnte alles so schnell zerstört werden?“ flüsterte sie durch die Tränen.
Hinter der Tür war ein gedämpftes Gespräch zu hören.
Elizaveta Kirillovna sagte streng etwas zu ihren Töchtern, doch in ihrer Stimme lag kein Anzeichen von Reue.
Eher im Gegenteil — sie schien zufrieden mit sich selbst.
„Selbst schuld…“ hörte Tatjana Bruchstücke.
„Du hättest es nicht provozieren sollen…“
Der Tag verging in schwerem Schweigen.
Auf dem Bett liegend starrte Tatjana zur Decke und ließ die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren.
Anderthalb Jahre Liebe und Vertrauen — und dann so eine scharfe Kursänderung.
Als wäre Denis ein anderer Mensch geworden.
Gegen 18 Uhr hörte sie, wie die Haustür geöffnet wurde.
Bekannte Schritte — Denis war zurück.
„Tatjana? Bist du da?“
Sie antwortete nicht.
Die Schritte kamen näher zum Schlafzimmer, die Türgriff drehte sich, doch die Tür war verschlossen.
„Tatjana, mach bitte auf.“
Langsam stand sie auf, ging zur Tür, aber öffnete nicht hastig.
„Was ist passiert?“ fragte er.
— Mama hat angerufen und gesagt, dass es einen Konflikt bei euch gab.
„Konflikt“, wiederholte Tatjana innerlich mit bitterer Ironie.
Als ob man das mit einem milderen Wort hätte beschreiben können.
Endlich öffnete sie die Tür.
Vor ihr stand Denis – im Anzug, mit besorgtem Gesichtsausdruck.
Als er ihre roten Augen und zerzauste Frisur sah, wurde sein Gesicht finster.
„Was ist passiert?“ fragte er erneut und machte einen Schritt auf sie zu.
Tatjana trat zurück.
„Du weißt doch schon alles, oder?“ Ihre Stimme klang müde und kalt.
„Du weißt, dass deine Mutter mich geschlagen hat? Dass deine Schwestern darüber gelacht haben? Und du fragst noch?“
Denis stockte, sichtlich erschüttert.
„Deine Mutter… hat dich geschlagen?“ glaubte er kaum.
„Das kann nicht sein.
Sie würde niemals…“
„Vielleicht“, unterbrach ihn Tatjana scharf,
„hier, in diesem Zimmer.“
„Ich kenne meine Mutter.
Sie ist eine zurückhaltende Frau.
Vielleicht hast du sie selbst provoziert?“
Tatjana sah ihn an, als wäre er ein Fremder.
Dann lachte sie kurz und trocken.
„Provoziert?“, wiederholte sie.
„Deine Schwester hat mein Telefon genommen und es der Mutter gegeben.
Ich bat darum, es zurückzubekommen, aber sie haben mich ignoriert.
Ich habe meine Meinung gesagt – und deine Mutter hat mich geschlagen.
Und du sagst, ich hätte provoziert?“
Denis war verwirrt, aber zögerte, Partei für sie zu ergreifen.
„Es tut mir leid, dass das so gelaufen ist“, sagte er schließlich und senkte den Blick.
„Aber du musst verstehen: Sie machen sich Sorgen um mich.
Vor allem nach dem, was sie auf deinem Telefon gefunden haben.“
„Nach was genau?“
„Nun… diese Nachrichten“, stockte er.
„Von wem waren die?“
„Das geht dich nichts an“, antwortete Tatjana kurz.
„Wie bitte?“, sein Ton wurde scharf.
„Es geht mich sehr wohl etwas an! Morgen bist du meine Frau, und ich erfahre, dass du mit jemand anderem triffst!“
„Bist du dir sicher?“
„Natürlich!“ rief er.
„Diese Nachrichten sprechen für sich! Dein seltsames Verhalten in letzter Zeit, deine Nervosität… Du hast jemanden!“
Aus dem Nebenraum drang gedämpftes Lachen und das Rascheln von Schritten.
Tatjana drehte sich automatisch um und sah, wie hinter der leicht geöffneten Tür zwei Gestalten vorbeihuschten.
„Sind Olya und Yulia hier?“
Denis zuckte mit den Schultern, als wäre das nichts Besonderes.
Diese Familie machte sich über sie lustig.
„Sag ihnen, sie sollen gehen“, sagte sie entschlossen.
„Was?“ fragte er verblüfft.
„Ruf deine Schwestern und deine Mutter und sag ihnen, sie sollen unsere Wohnung jetzt verlassen.
Sofort.“
Er sah sie an, als spräche sie eine fremde Sprache.
„Aber warum? Wir sind doch fast Familie…“
„Wir sind noch keine Familie“, schnitt sie scharf ab.
„Und ehrlich gesagt, ich bezweifle jetzt, dass wir es überhaupt werden.“
Denis ignorierte ihre Worte und kam zurück zum Wesentlichen:
„Wie heißt er? Dein… geheimer Freund?“
Tatjana konnte kaum glauben, dass dieser Mann ihr einst vernünftig und liebevoll erschien.
Er war zu einem misstrauischen, besitzergreifenden Fremden geworden, der blind den Worten seiner Verwandten mehr glaubte als ihr.
Hinter der Tür hörte man wieder gedämpftes Kichern.
Offenbar amüsierte sie das Schauspiel sehr.
Tatjana zog ihr Telefon heraus und reichte es Denis.
„Öffne die letzten Nachrichten“, bat sie ruhig.
Zögernd nahm er das Gerät, wischte über den Bildschirm und begann laut zu lesen:
„‚Meine Süße… Wie sehr ich mich freue… Ich kann es kaum erwarten… Küsse…‘“
Sein Gesicht verdunkelte sich mit jedem Wort.
„Und jetzt“, sagte Tatjana leise, „sieh dir die Nummer an und ruf sie von deinem Telefon an.“
Denis blinzelte, aber gehorchte.
Er wählte die Nummer und hielt das Telefon ans Ohr.
Nach einigen Klingeltönen meldete sich eine Frau, deren Stimme er sofort erkannte.
„Hallo?“ ertönte es.
„Vera?“ sagte er überrascht und sah zu Tatjana.
„Ja, Denis, ich bin’s“, antwortete die Schwester der Braut ruhig.
„Glückwunsch, du bist ein vollkommener Idiot.
Jetzt hast du verstanden, worauf du dich eingelassen hast?“
Denis stand mit offenem Mund da, sprachlos.
Tatjana nahm ihm das Telefon weg und beendete das Gespräch.
„Ich hätte nie gedacht, dass du deinen Schwestern den Auftrag gibst, mich zu überwachen und dir alles zu berichten“, begann sie, ihm fest in die Augen sehnd.
„Und dass deine Mutter in meinem Privatleben wühlt.
Und erst recht nicht, dass eine erwachsene Frau mich einfach so schlägt, weil sie es will.
Aber am meisten hat mich erschüttert, dass mein zukünftiger Mann mich ohne einen einzigen Beweis, außer ein paar Nachrichten auf einem fremden Telefon, des Betrugs beschuldigt.“
Sie machte eine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen.
„Weißt du was, Denis?“
Er schluckte nervös.
„Was?“
Tatjana sagte ruhig, fast kalt:
„So einen Mann brauche ich nicht.
Ich will jemanden, der mir vertraut, der mich nicht beim ersten Verdacht verrät.
Deshalb packst du jetzt dich, deine Mama und deine Schwestern und gehst.
Sofort.“
Wie auf Kommando stürmte Elisabeth Kirillowna in den Raum.
„Was für einen Unsinn redest du da!“ schrie sie.
Tatjana drehte sich langsam zu ihr um:
„Halt die Klappe.
Ich habe euch nicht das Recht gegeben, euch einzumischen.“
Die Schwiegermutter wurde blass, als wäre sie mit Eiswasser übergossen worden.
Sie wollte widersprechen, schluckte aber nur hastig.
„Ihr habt alles gehört“, fuhr Tatjana fort.
„Also dreht euch jetzt um und verlasst meine Wohnung.“
Hinter der Tür lugten Olya und Yulia hervor und kicherten wie Schulmädchen.
„Eine Hysterikerin“, schnappte Olya.
„Vollkommen verrückt“, fügte Yulia hinzu.
Überraschenderweise drehte sich Denis scharf zu seinen Schwestern um:
„Haltet die Klappe! Raus hier!“ Seine Stimme donnerte durch den Raum.
Die Schwestern zogen sich ängstlich zurück und verschwanden im Flur, als wären sie nie da gewesen.
Denis wandte sich langsam Tatjana zu.
Sein Gesicht veränderte sich – ein Hauch von Reue erwachte darin.
„Tanja, lass uns alles vergessen.
Es war ein dummer Scherz.
Wir werden alles wieder in Ordnung bringen.“
Doch Tatjana sah bereits: Vor ihr stand nicht mehr der Mann, den sie geliebt hatte.
„Das ist kein Scherz, Denis.
Das bist du.
Dass deine Schwestern mich ausspioniert haben – das bist du.
Dass deine Mutter in meinen Sachen gewühlt hat – das bist auch du.
Und du hast die Erklärungen verlangt, du hast mich des Betrugs beschuldigt“, ihre Stimme klang schmerzhaft.
„Ich kann dir nicht mehr vertrauen.
Für mich bist du ein Nichts.
Du bist niemand für mich.
Es wird keine Hochzeit geben.
Verschwinde.“
Elisabeth Kirillowna kam endlich zu sich.
„Wenn du nichts zu verbergen hast, warum hast du dann dieses ganze Theater veranstaltet?“ forderte sie heraus.
Tatjana drehte sich langsam um und sah sie mit eiskalter Ruhe an:
„Ihr fangt schon wieder an? Es wird Zeit, dass ihr im Flur wartet.
Denkt ihr, ich bin euer Mädchen, mit dem man herumkommandieren kann? Ich bin nicht eure Töchter, die eure Befehle ausführen und jeden Schritt melden.
Ich bin nicht eure Schwiegertochter.
Falls ihr noch nicht alles gehört habt: Verschwindet.
Jetzt.“
„Oder was?“ erhob die Schwiegermutter drohend die Stimme und machte einen Schritt vor.
Denis stellte sich unerwartet zwischen sie.
„Mama, bitte geh“, bat seine Stimme fast flehend.
„Bitte.“
Elisabeth Kirillowna warf ihrem Sohn einen unzufriedenen Blick zu, ging dann aber lautstark die Tür zu.
Denis wandte sich scharf an Tatjana:
„Hör auf, so eine Szene zu machen!“
„Morgen ist die Hochzeit! Verstehst du das?!“
Tatjana hielt es nicht mehr aus.
Sie stieß ihn heftig weg und schlug ihm mit aller Kraft ins Gesicht.
Ein lautes Klatschen hallte durch den Raum.
„Hast du es immer noch nicht verstanden?“ schrie sie.
„Ich bin nicht deine Braut, nicht deine Schwester, nicht dein Spielzeug! Verschwinde sofort!“
„Du… hast mich geschlagen“, murmelte er erschüttert und hielt sich die heiße Wange.
„Ich wiederhole es ein letztes Mal: Es wird keine Hochzeit geben.
Gib mir die Schlüssel zu meiner Wohnung zurück und geh.“
„Das ist unsere Wohnung“, versuchte er zu widersprechen.
„MEINE!“ rief Tatjana.
„VERSCHWINDE!“
Sie stürmte zum Schrank, riss die Türen auf, dass sie gegen die Wand knallten.
Mit zitternden vor Wut bebenden Händen riss sie Hemden, Hosen, Jacken von den Bügeln und warf sie quer durch den Raum.
„Nimm deine Sachen!“ schrie sie.
„Sofort!“
Denis stand fassungslos da, während die Kleidung um ihn herum flog.
Ein Hemd fiel zu seinen Füßen, dann eine Krawatte, dann eine Hose.
„Hör auf!“ versuchte er sie zu stoppen, während er die Sachen zusammensuchte.
„Du benimmst dich wie eine Hysterikerin!“
„Ich hasse euch!“ rief Tatjana und warf ihm die letzte Hose hinterher.
„Ich hasse euch alle!“
Sie trat einen Haufen Kleidung weg und verstreute sie im ganzen Zimmer.
Denis lief verwirrt umher, sammelte die Sachen in eine Tasche.
„Du bist verrückt“, murmelte er.
„Eine reine Idiotin…“
Tatjana war sofort bei ihm.
„Was hast du gesagt?“ zischt sie und kam näher.
„Wiederhole das!“
Denis wich zurück, verwickelt in seine eigenen Sachen, aber es war zu spät.
Tatjana holte aus und trat ihm gegen den Hintern.
Denis verlor das Gleichgewicht und fiel mit einem Krachen zu Boden, die gesammelte Kleidung verteilte sich.
„Für die ‚Dumme‘!“ schrie sie.
Vor der Tür zum Schlafzimmer standen drei Gestalten – Elisabeth Kirillowna und ihre Töchter –, die das Geschehen mit schockierten Gesichtern beobachteten.
„Mein Gott…“ flüsterte die Schwiegermutter.
Tatjana drehte sich zu ihnen um:
„Was steht ihr hier? Das Theater ist vorbei! Alle raus aus meiner Wohnung!“
Elisabeth Kirillowna öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch Tatjana ließ ihr keine Chance:
„SCHWEIG!“, rief sie scharf und streckte den Zeigefinger vor.
„Kein Wort mehr! Alle raus aus meiner Wohnung!“
Olya, die sich hinter der Mutter versteckte, konnte sich ein gehässiges Murmeln nicht verkneifen:
„Was für eine dumme Kuh…“
„Eine echte Psychopathin!“ stimmte Yulia ein und verzog das Gesicht.
Ihre Worte hingen in der Luft, doch statt der erwarteten Unterstützung durch die Mutter kam etwas Unerwartetes: Elisabeth Kirillowna drehte sich scharf zur jüngeren Tochter um und gab ihr eine knallige Ohrfeige.
„Halt den Mund!“ fauchte sie und packte Olya an der Schulter.
Dann wandte sie sich Yulia zu und fügte hinzu: „Und du, halt auch die Klappe.
Ihr beide – ab auf die Treppe.
Sofort.“
Die Schwestern, erschrocken über die plötzliche Wandlung ihrer Mutter, verschwanden eilig hinter der Tür.
Inzwischen sammelte Denis, immer noch auf dem Boden sitzend, die verstreuten Sachen und murmelte unzufrieden vor sich hin.
Tatjana griff ohne ein Wort nach seiner Tasche und warf sie hinter die Tür.
„Hier sind deine Sachen! Und jetzt verschwinde!“ befahl sie, packte ihn am Arm und zog ihn zur Tür.
Denis versuchte sich zu wehren:
„Tanja, lass uns ruhig reden… Das ist nur ein Missverständnis…“
„Missverständnis?“ wiederholte sie wütend und riss sich los.
„Missverständnis ist, dass ich überhaupt zugestimmt habe, mit dir zusammen zu sein! Missverständnis ist unsere ganze gemeinsame Geschichte!“
Elisabeth Kirillowna, bereits auf der Treppenhausplattform, sah zu, wie ihr Sohn wortwörtlich hinausgeworfen wurde.
Auf ihrem Gesicht spiegelten sich Überraschung und offenbar eine wichtige Erkenntnis.
„Tanja…“ begann sie sanft und machte einen Schritt vor.
„Nein!“ schnitt Tatjana ab.
„Ich habe so eine Gemeinheit weder von dir noch von deinem Sohn erwartet.
Also verschwindet.
Alle drei.
Aus meinem Leben.“
Mit diesen Worten schlug sie die Tür vor ihren Gesichtern zu und drehte den Schlüssel um.
Hinter der Tür begann ein echter Anfall.
Olya und Yulia kreischten und übertönten sich gegenseitig.
Denis rannte zwischen ihnen hin und her und versuchte, wenigstens ein bisschen Ordnung herzustellen.
Tatjana lehnte mit dem Rücken an der Tür und hörte dieses Chaos, das sie selbst verursacht hatte.
„Tanja, mach auf, lass uns reden!“ Die Stimme von Elisabeth Kirillowna wurde weich, fast flehend.
„Psychopathin!“ schrie Olya.
„Stell dir vor, Bruder, ich wäre fast ihr Mann geworden!“
„Halt endlich die Klappe!“ schnauzte Denis sie scharf an, und für einen kurzen Moment wurde es im Flur still.
Dann ging er zur Tür und klopfte vorsichtig.
„Tanja…“ Seine Stimme war ganz anders – klagend, sogar verwirrt.
„Bitte, mach auf.
Ich habe verstanden.
Ich war ein Idiot.
Aber ich liebe dich.
Mach auf, meine Liebe.“
Tatjana trat von der Tür zurück, spürte, wie alles in ihr kalt wurde.
„Ich habe dir gestern vergeben! Und vorgestern! Und heute Morgen auch! Es reicht! Keine weiteren Chancen!“
Ihr Blick fiel auf das Brautkleid, das ordentlich in einem Überzug hing.
Schneeweiß, mit Perlenbesatz, perfekt.
„Perfekt für jemand anderen“, dachte sie.
Was einst ein Symbol ihres Glücks sein sollte, erinnerte jetzt an Verrat und Demütigung.
Entschlossen riss Tatjana den Überzug herunter, griff das Kleid am Bügel und ging zügig zur Tür.
Mit einem Ruck öffnete sie sie und sah ihre verblüfften Verwandten.
„Fangt es auf!“ rief sie und warf das Kleid über das Geländer.
Es stieg wie die Flügel eines fallenden Vogels in die Luft und landete sanft auf den unteren Stufen.
Elisabeth Kirillowna schnappte nach Luft und hielt sich die Hände vor den Mund.
Doch Tatjana machte weiter.
Zurückgekehrt brachte sie eine Schachtel mit Schuhen – teuer, mit Kristall verziert.
Ein Geschenk von Denis.
„Und das nehmt ihr auch mit!“ platzte sie heraus und warf die Schuhe hinterher.
Die Schachtel kippte um, die Schuhe verstreuten sich wie Spielzeug auf der Treppe.
Olya drückte sich an Yulia, Angst ersetzte den früheren Spott.
Yulia wurde blass und presste die Lippen zusammen.
Elisabeth Kirillownas Gesicht wurde weiß, als sähe sie einen Alptraum.
Und zuletzt – der Ring.
Tatjana zog ihn langsam vom Finger, hielt ihn in der Hand, als würde sie ihn wägen, und warf ihn dann direkt auf Denis.
„Such dir eine andere Dumme!“ schrie sie und schlug die Tür vor ihren Augen zu.
Das Letzte, was sie sah, war Denis’ Gesicht voller Schmerz und Angst.
Hinter der Tür waren wieder Stimmen zu hören, diesmal gedämpft, als kämen sie aus einer anderen Welt.
Denis stand daneben, sie spürte seine Präsenz.
„Tanja… was ist mit der Hochzeit?“ Seine Stimme klang fast panisch.
„Der Saal ist bezahlt, die Autos bestellt, die Fotografen…“
„Was macht das schon“, dachte sie.
Das Leben ist wichtiger.
Sie ging ins Wohnzimmer und sank auf das Sofa.
Tränen kamen, doch es war eher Müdigkeit als Schmerz.
Seltsamerweise fühlte sie sich frei.
Das Telefon vibrierte in ihrer Tasche.
Auf dem Bildschirm erschien der Name der Schwester.
Sie drückte auf Annehmen.
„Hallo.“
„Na, wie geht’s deinem eifersüchtigen Helden?“ Vera sprach fröhlich mit einem Hauch Ironie.
Tatjana seufzte schwer:
„Ich hab ihn rausgeworfen.“
„Wow! Gut gemacht!“ Vera lachte.
„Ich habe sogar mit Irina gewettet, dass du es erst morgen machst.
Aber du warst schneller – ich habe verloren!“
Tatjana lächelte unwillkürlich.
„Ach, scheiß drauf“, sagte sie mit unerwarteter Leichtigkeit.
„So einen Mann brauche ich wirklich nicht, erst recht nicht mit so einer Familie.“
Die Schwester lachte, und Tatjana fühlte, wie es ihr innerlich leichter wurde.
„Wie sieht’s mit der Hochzeitsreise aus?“ fragte Vera plötzlich.
„Welche Reise?“
„Das Hotel am Meer ist doch schon bezahlt.
Wäre schade, es zu verlieren.“
Tatjana dachte nach und trommelte mit den Fingern auf die Armlehne.
„Vielleicht“, sagte sie schließlich.
„Ich werde darüber nachdenken.“
Nach dem Abschied legte sie das Telefon weg und blickte nachdenklich zur Decke.
Dann nahm sie entschlossen das Gerät, öffnete Nachrichten und tippte an Yulias Mann:
„Bist du sicher, dass sie dir treu ist?“
Sie schickte die Nachricht.
Die Mundwinkel hoben sich zu einem rachsüchtigen Lächeln.
Wenn Yulia so gerne in fremden Beziehungen wühlt, soll sie sich um ihre eigenen kümmern.
„Zur Hölle mit dieser Hochzeit“, flüsterte Tatjana und legte das Telefon beiseite.
„Lieber allein, als mit so einem.“
Draußen auf der Straße schmiedeten ihr Ex-Verlobter und seine Familie vielleicht noch Pläne, wie sie zurückzugewinnen sei.
Aber sie wusste – alles war vorbei.
„Und jetzt“, lächelte sie, „ist es Zeit, sich auf die Hochzeitsreise vorzubereiten.
Allein.“
Das Telefon klingelte erneut.
Denis.
Sie drückte auf Ablehnen und setzte seine Nummer auf die schwarze Liste.
Einen Moment später kam eine Antwort von Yulias Mann: „Worüber redest du?“
Tatjana schnaubte.
Der Samen des Zweifels war gesät.
Der Kreis schloss sich.
Sie ging in die Küche, bekam Hunger.
Das Leben ging weiter.
Und vor ihr lag ein bezahlter Urlaub am Meer.
Allein.
Aber frei.