Anja stieß auf die Nachrichten ihres Mannes, in denen er jemandem schrieb.
Anja Karpenko wachte um halb sieben morgens vom lauten Knall der Eingangstür auf.
Igor ging wie gewohnt zur Arbeit, ohne sich zu verabschieden.
Sie drehte sich auf die andere Seite, vergrub ihr Gesicht im Kissen und versuchte wieder einzuschlafen, doch die Gedanken ließen sie nicht los – sie kreisten wieder um Zahlen: Wie viel sie noch sparen musste, um aus dieser Mietwohnung herauszukommen und endlich richtig zu leben.
In den drei Ehejahren hatte sich Anja an das Schweigen ihres Mannes gewöhnt, an sein ständiges Telefonieren beim Essen, daran, dass er sie nie fragte: „Wie war dein Tag?“ Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass sie es nicht mehr bemerkte.
Sie arbeitete als Buchhalterin in einer Baufirma, legte jeden Cent zurück und träumte von einer eigenen Wohnung.
Die Zweizimmerwohnung, die sie mieteten, war längst kein Zuhause mehr – zu dünne Wände, eine lästige Vermieterin, hohe Miete.
„Bald ziehen wir um“, sagte sie zu Igor und zeigte ihm Anzeigen auf dem Handy.
„Noch sechs Monate – und wir haben die Anzahlung zusammen.“
Igor nickte, ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, und murmelte etwas Unverständliches.
Er arbeitete als Fahrer in einer Logistikfirma, verdiente gut, gab aber ungern Geld für gemeinsame Ziele aus.
Sein Geld floss in Zigaretten, Bier mit Freunden und Benzin für sein geliebtes Auto.
Anja klagte nicht.
Nachdem sie verstanden hatte, dass Igor ihr ohnehin nicht zuhört, hörte sie ganz auf, ihre Gefühle zu teilen.
Sie sparte einfach weiter, plante und suchte nach Möglichkeiten.
An den Wochenenden besichtigte sie Wohnungen, machte Fotos, verglich Preise.
Igor ging nie mit.
„Du kennst dich besser aus“, winkte er ab.
„Was du auswählst, das nehmen wir.“
Der Februartag begann wie jeder andere.
Anja saß im Büro und machte die Monatsabrechnung, als Igors Telefon klingelte.
Er hatte es zu Hause vergessen – es lag in der Küche neben einem halb gegessenen Sandwich.
Anja wollte nicht rangehen, aber die Anrufe wiederholten sich.
Auf dem Display stand „Max“.
Sie kannte Max – ein Freund von Igor aus Schulzeiten, arbeitet jetzt irgendwo im Handel.
Groß, schlank, mit ständigem spöttischem Blick.
Während der Ehe hatte sie ihn nur ein paar Mal gesehen, erinnerte sich aber an seine Witze, die nur er und Igor lustig fanden.
„Hallo, hier ist Anja“, antwortete sie, als sie die Stimme hörte.
„Igor hat sein Handy zu Hause vergessen.“
„Was gibt’s Wichtiges?“
„Anja! Hallo! Nichts Besonderes, wollte nur wissen, wie es mit der Wohnung läuft. Du hattest doch gesagt, ihr wollt kaufen.“
„Ja, hoffentlich bis zum Sommer“, antwortete sie.
„Was ist denn los?“
„Nichts, nur neugierig.“
Er klang so zufrieden, als hätte er etwas umsonst gewonnen.
Etwas in Max’ Tonfall ließ Anja misstrauisch werden, doch sie fragte nicht nach.
Sie verabschiedeten sich, und sie legte auf.
Am Abend, als Igor zurückkam, gab sie ihm das Handy zurück.
„Max hat angerufen, hat nach der Wohnung gefragt“, sagte sie.
Igor blickte kurz auf das Display, schwieg aber.
Nur sein Gesicht wirkte angespannt.
„Willst du essen?“, fragte Anja.
„Nein“, brummte er und ging ins Zimmer.
Anja zuckte mit den Schultern.
In drei Jahren hatte sie gelernt, sich nicht mehr über seine Launen zu wundern.
Doch eine Woche später passierte etwas, das alles veränderte…
Igor vergaß sein Handy erneut zu Hause, aber diesmal nahm Anja die Anrufe nicht an.
Sie stellte den Ton aus und vergaß es.
Abends, als ihr Mann fragte, ob Anrufe eingegangen seien, log sie: Niemand habe angerufen.
Igor runzelte die Stirn, nahm das Handy und ging ins Badezimmer.
Anja hörte gedämpfte Stimmen, konnte aber keine Worte verstehen.
Als er herauskam, sah sein Gesicht finster aus.
„Ich bleibe morgen länger“, sagte er.
„Wichtige Ladung, ich kann bis nachts arbeiten.“
Anja nickte.
Jetzt war ihr wirklich alles egal.
Am nächsten Tag ging Igor wie gewohnt, kam aber nach einer halben Stunde zurück – er hatte Dokumente vergessen.
Anja war gerade beim Duschen, hörte, wie er hastig etwas im Zimmer suchte, dann wieder die Tür schloss und ging.
Sie kam aus dem Bad und sah sein Handy auf dem Boden liegen.
Es war wohl aus seiner Tasche gefallen, als er in den Papieren wühlte.
Anja hob es auf, um es auf den Tisch zu legen – bemerkte aber, dass der Bildschirm nicht gesperrt war.
Mehrere ungelesene Nachrichten von Max waren geöffnet.
Sie hatte nicht vor, zu lesen.
Ehrlich.
Sie wollte das Handy einfach zurücklegen und warten.
Doch ihr Blick glitt von selbst zum Bildschirm.
Die ersten Zeilen fesselten sie:
„Bist du sicher, dass sie nichts merkt? Gestern hat sie seltsam reagiert…“
Anjas Herz schlug schneller.
Ihre Finger drückten von selbst auf den Bildschirm.
Der Chat war lang.
Anja las und konnte ihren Augen nicht trauen.
Igor:
„Alles läuft nach Plan.
Sie hat fast genug für die Anzahlung gespart.
Ich denke, im Mai machen wir den Deal.“
Max:
„Und du direkt nach dem Kauf?“
Igor:
„Natürlich.
Die Wohnung ist Ehegut – also gehört mir die Hälfte gesetzlich.
Ich werde mich scheiden lassen und meinen Anteil holen.“
Max:
„Genial, Bruder.
Was, wenn sie etwas ahnt?“
Igor:
„Sie wird nichts merken.
So naiv, fast schon rührend.
Drei Jahre spart sie für UNSERE Wohnung, aber in Wirklichkeit für meine.
Oder besser gesagt, für unsere – erinnerst du dich an die Autowerkstatt?“
Max:
„Klar.
Das Geschäft ist profitabel.
Mit deinem Geld können wir richtig durchstarten.“
Igor:
„Darum geht’s mir.
Hoffentlich entscheidet sie sich bald für die Wohnung.
Ich habe es satt, den fürsorglichen Ehemann zu spielen.“
Max:
„Erinnerst du dich, wie sie ein Kind wollte? Gut, dass du sie davon abgehalten hast.“
Igor:
„Auf keinen Fall! Kinder bedeuten nur Ärger bei der Aufteilung des Eigentums.
Ohne sie ist alles einfacher.“
Max:
„Du bist hart, Igor.
Drei Jahre mit einer Frau leben und kein bisschen Mitleid.“
Igor:
„Warum sollte ich Mitleid haben? Sie macht keinen Verlust.
Sie bekommt ihre Hälfte und lebt weiter.
Und ich bin endlich frei.
Ich habe es satt mit ihren Tabellen und Träumen.“
Anja legte das Handy mit zitternden Händen weg.
In ihrem Kopf war ein Lärm, vor ihren Augen verschwamm alles.
Drei Jahre.
Drei Jahre hatte sie eine Zukunft mit einem Mann aufgebaut, der die Tage bis zur Scheidung zählte.
Drei Jahre sparte sie Geld für ihr gemeinsames Leben, und er plante, dieses Geld für sich zu bekommen.
Langsam setzte sie sich aufs Sofa und versuchte, sich zu fassen.
Igor würde bald zurückkommen – wegen seines Handys.
Eine Entscheidung musste getroffen werden.
Aber welche – das wusste sie noch nicht.
Anja machte schnell Fotos von den wichtigsten Nachrichten auf ihrem eigenen Handy, legte es vorsichtig zurück und setzte sich zum Warten.
Igor kam nach etwa zwanzig Minuten zurück, gereizt und zerstreut.
„Wo ist mein Handy?“, fragte er ohne Begrüßung.
„Es ist runtergefallen, lag auf dem Boden“, antwortete Anja ruhig.
Igor schnappte sich das Gerät, überflog den Bildschirm und entspannte sich ein wenig.
„Okay, ich gehe.
Komme spät zurück.“
„Gut“, sagte sie.
Als die Tür zufiel, ließ Anja endlich die Tränen freien Lauf.
Aber sie weinte nicht lange.
Die Tränen der Wut trockneten schnell, ersetzt durch kalte Entschlossenheit.
Sie war betrogen worden, aber jetzt hatte sie Beweise.
Und sie würde niemandem erlauben, ihr Leben zu kontrollieren.
Anja nahm ihr Handy und begann, sich zu informieren.
Sie las Artikel über Familienrecht, Vermögensaufteilung und wie man beweist, dass das Geld für die Wohnung ihr persönliches Erspartes war.
Bis zum Mittag wusste sie mehr als während der gesamten Ehe.
Am Abend kam Igor spät nach Hause, wie versprochen.
Anja empfing ihn mit einem warmen Lächeln und einem gedeckten Tisch.
„Wie war dein Tag?“, fragte sie, während sie ihm Tee einschenkte.
„Normal“, brummte er, ohne sie anzusehen.
„Und deiner?“
„Gut.
Übrigens, ich habe heute mit dem Makler gesprochen.
Er meinte, die Wohnung sollte auf einen von uns eingetragen werden.
Dann zahlt man weniger Steuern.“
Igor hob die Augen, Neugier blitzte darin auf.
„Auf wen am besten?“
„Ich weiß noch nicht“, zuckte Anja mit den Schultern.
„Er sagte, auf den mit dem höheren offiziellen Einkommen.
Wie viel steht in deinem Gehaltsnachweis?“
„Achtundzwanzigtausend“, antwortete Igor.
Anja wusste, dass die tatsächlichen Zahlen deutlich höher waren – einen Teil seines Geldes bekam er schwarz.
„Ich habe fünfunddreißig“, sagte sie.
„Dann ist es besser, die Wohnung auf mich einzutragen.“
Igor dachte nach.
„Aber spielt das eine Rolle? Wir sind verheiratet, das Eigentum ist doch gemeinsam.“
„Ja, klar“, stimmte Anja zu.
„Nur ein Tipp vom Anwalt.
Dann gibt es weniger Fragen vom Staat.“
Ein paar Tage lang bereitete sie alles weiter sorgfältig vor: Sie sprach von einem Treffen mit einem guten Anwalt und wie wichtig es sei, alles richtig und offiziell zu machen.
Igor nickte, aber Anja merkte, wie er bei jeder Erwähnung von Dokumenten innerlich angespannt war.
Dann geschah etwas, das sie nicht erwartet hatte.
An einem Samstagmorgen kündigte Igor an, dass er zu seinen Eltern aufs Land fahren würde.
„Mama hat um Hilfe im Garten gebeten“, sagte er.
„Ich komme abends zurück.“
Anja nickte und begleitete ihn zur Tür.
Eine Stunde später kam Lena – die ältere Schwester, direkt und entschlossen.
Sie hatte nie ihre Meinung zu Igor versteckt, nannte ihn „kalt“, „gleichgültig“ und wunderte sich regelmäßig, warum Anja so einen Mann geheiratet hatte.
„Du siehst blass aus“, bemerkte Lena, als sie die Schwelle überschritt.
„Ist etwas passiert?“
„Ich bin nicht krank, nur müde“, antwortete Anja.
„Wovon bist du müde? Von diesem Holzklotz, den du Mann nennst?“
Normalerweise verteidigte Anja ihren Mann, aber dieses Mal konnte sie nicht.
Stattdessen legte sie ihrer Schwester alles vor: den Chatverlauf, Igors Pläne, ihren Schmerz und ihre Angst.
Lena hörte aufmerksam zu, doch ihr Blick wurde immer härter.
„Ein Mistkerl“, sagte sie schließlich.
„Ein richtiger Mistkerl.
Was wirst du jetzt tun?“
„Ich weiß nicht“, gestand Anja ehrlich.
„Ich denke noch darüber nach.“
„Nachdenken musst du nicht“, sagte Lena scharf.
„Du musst ihm zuvorkommen.
Hast du Beweise?“
„Ich habe die Nachrichten fotografiert.“
„Gut.
Und das Geld?“
„Auf meinem Konto.
Ich habe allein gespart.“
„Perfekt.
Dann so: Morgen gehst du zum Anwalt und findest heraus, wie du dich schützen kannst.
Und such dir schnell eine Wohnung aus, bevor er etwas merkt.“
„Aber wie…“ begann Anja.
„Wie was?“, unterbrach sie die Schwester.
„Du hast ihn doch immer noch Mitleid? Er hat dich drei Jahre lang benutzt, hat Pläne gemacht, dich auszunutzen, und du hast Mitleid mit ihm?“
Anja schwieg.
Sie hatte nicht ihn bemitleidet, sondern die Jahre, die sie zusammen verbracht hatten.
Vielleicht war da keine Liebe gewesen, aber eine Gewohnheit, ein Zusammenhalt, sogar die Illusion einer Familie.
„Hör mir zu“, sagte Lena und nahm ihre Hände.
„Du bist gut, Anja.
Zu gut.
Aber jetzt musst du nicht gut sein, sondern schlau.“
Am Montag nahm Anja sich frei und ging zum Anwalt.
Die junge Frau im Business-Kostüm hörte aufmerksam zu und schüttelte den Kopf.
„Die Situation ist nicht einfach, aber die Chancen stehen gut“, sagte sie.
„Das Wichtigste ist, dass Sie Beweise für seine Absichten haben.
Und Sie können zeigen, dass das Geld Ihr persönliches Einkommen ist.
Sie müssen nur vorsichtig vorgehen.“
„Wie genau?“, fragte Anja.
„Erstens dürfen Sie unter keinen Umständen zeigen, dass Sie die Wahrheit kennen.
Zweitens müssen Sie den Vertrag richtig gestalten.
Sie können angeben, dass die Wohnung aus den persönlichen Einnahmen eines Ehepartners gekauft wurde.“
„Aber ich habe während der Ehe gespart.“
„Das ist kein Problem.
Wichtig ist der Nachweis.
Haben Sie Gehaltsbescheinigungen?“
„Ja, natürlich.“
„Perfekt.
Sie können beweisen, dass das Geld aus Ihrem Einkommen stammt.
Und der Mann hat kein Recht auf einen Anteil, wenn keine gemeinsamen Investitionen gemacht wurden.“
Der Anwalt gab noch ein paar weitere Empfehlungen, und Anja verließ die Kanzlei mit dem Gefühl, einen Plan zu haben.
Zu Hause wartete Igor.
Er saß in der Küche und rauchte – was er zu Hause selten tat – und sah besorgt aus.
„Wo warst du?“, fragte er.
„Ich war unterwegs“, antwortete Anja.
„Was ist?“
„Nur so gefragt.“
Aber in seiner Stimme lag Spannung.
Anja merkte, dass er etwas ahnte.
Beim Abendessen fragte er unerwartet:
„Wann willst du die Wohnung kaufen?“
„Ich denke, in ein bis zwei Monaten“, antwortete Anja.
„Ich möchte, dass es für Anzahlung und Renovierung reicht.“
„Vielleicht sollten wir nicht zu lange warten?“, schlug Igor vor.
„Die Preise steigen.
Wenn wir jetzt kaufen, ist es günstiger.“
Anja sah ihn genau an.
Seine Eile konnte kein Zufall sein.
„Vielleicht hast du recht“, sagte sie.
„Ich werde darüber nachdenken.“
Am nächsten Tag besichtigte sie die Wohnung, die sie schon lange im Auge hatte.
Eine Einzimmerwohnung in einem Neubau mit praktischer Aufteilung.
Die Verkäufer waren bereit, wegen eines kleinen Rabatts zu beschleunigen.
Anja machte einen Termin fürs Wochenende und nahm Igor mit, um die Wohnung anzuschauen.
„Okay“, sagte er knapp nach der Besichtigung.
„Nimm sie.“
„Vielleicht sollten wir nach einer Zweizimmerwohnung suchen?“, wunderte sich Anja.
„Wozu?“, zuckte er mit den Schultern.
„Das hier reicht.
Hauptsache, ein eigenes Dach über dem Kopf.“
Jetzt verstand Anja, warum er es so eilig hatte.
Je schneller die Wohnung gekauft war, desto schneller konnte Igor die Scheidung einreichen.
Am Montag traf sie sich mit den Verkäufern und begann die Vorbereitung für den Kauf.
Der Anwalt half, den Vertrag so zu gestalten, dass die Wohnung auf Anja Karpenko als ihr persönliches Eigentum eingetragen wurde, das aus ihrem offiziellen Einkommen angespart wurde.
Igor musste nur als Ehemann unterschreiben und seine Zustimmung geben.
„Warum solche Formulierungen?“, fragte er, als er den Vertragsentwurf las.
„Der Anwalt sagt, das sei sicherer“, antwortete Anja.
„Für das Finanzamt.“
Igor zuckte mit den Schultern und unterschrieb.
Der Termin für den Kauf wurde auf Freitag festgesetzt.
Die ganze Woche lebte Anja in ständiger Anspannung – mal hatte sie das Gefühl, Igor ahne etwas, dann wieder war er ungewöhnlich ruhig.
Aber er verhielt sich wie immer: schweigsam, distanziert.
Am Donnerstagabend rief Max an.
„Anja, hallo!“, seine Stimme klang seltsam.
„Ist Igor zu Hause?“
„Nein“, antwortete sie.
„Was ist los?“
„Ach, wollte nur zum Kauf gratulieren.
Er hat gesagt, ihr macht den Vertrag morgen?“
„Ja, morgen“, bestätigte Anja.
„Na dann viel Glück“, sagte Max und legte auf.
Anja stand mit dem Telefon in der Hand da und spürte: Irgendetwas stimmt nicht.
In seiner Stimme lag Spott.
In der Nacht schlief sie kaum.
Etwas Wichtiges entglitt ihr.
Am Freitagmorgen fuhren sie zum Amt.
Anja fuhr mit schwerem Herzen, blieb äußerlich gefasst.
Igor war unerwartet fröhlich und entspannt.
Die Dokumente wurden schnell erledigt.
Anja unterschrieb mit zitternden Händen, Igor mit einem zufriedenen Lächeln.
Nach der letzten Unterschrift legte er ihr die Hände auf die Schultern.
„Jetzt haben wir unser Zuhause“, sagte er.
„Ja“, antwortete Anja.
„Unser Zuhause.“
Auf der Rückfahrt fuhren sie schweigend.
Anja dachte: Wann wird er die Scheidung einreichen? In einer Woche? In einem Monat?
Die Antwort kam schneller als erwartet.
Am Montag beim Frühstück sagte Igor plötzlich:
„Anja, wir müssen reden.“
Ihr Herz zog sich zusammen.
„Worüber?“, fragte sie.
„Über uns.
Über unsere Beziehung.“
Er sprach lange und undeutlich darüber, dass „wir auseinandergehen“, jeder seine Ziele habe und er sich eingeengt fühle.
Anja nickte, doch innerlich schmerzte es.
Nicht weil er gehen wollte – darauf war sie vorbereitet.
Sondern wegen der Heuchelei seiner Worte.
„Ich denke, wir sollten uns trennen“, sagte Igor.
„In Frieden, ohne Skandale.
Du weißt doch, dass zwischen uns schon lange nichts mehr ist?“
„Ich weiß“, antwortete Anja leise.
„Gut“, atmete er erleichtert aus.
„Ich werde heute noch die Scheidung einreichen.
Die Wohnung teilen wir wohl gerecht.
Keine Einwände?“
„Keine“, nickte sie.
Igor sah sie überrascht an.
Er hatte Tränen, Vorwürfe, Bitten erwartet.
Aber nichts bekommen.
„Im Ernst?“, fragte er nach.
„Im Ernst.
Wenn du das willst – lass uns scheiden.“
„Gut“, sagte Igor.
„Dann gehe ich.“
Als sich die Tür hinter ihm schloss, nahm Anja das Telefon und rief ihren Anwalt an
„Er hat angefangen“, sagte sie knapp.
„Er reicht heute den Antrag ein.“
„Gut“, antwortete die Frau.
„Sind Sie bereit für den nächsten Schritt?“
„Bereit.“
Einen Monat später fand die Gerichtsverhandlung zur Vermögensaufteilung statt.
Igor kam mit Anwalt und einem zufriedenen Lächeln.
Anja mit einer Mappe voller Dokumente und ruhigem Blick.
Der Anwalt des Mannes erklärte sofort, dass die Wohnung in der Ehe gekauft wurde und als gemeinsames Eigentum gilt.
„Ich widerspreche“, sagte Anja bestimmt und stand auf.
„Diese Wohnung wurde ausschließlich aus meinen persönlichen Mitteln gekauft.“
Sie legte Gehaltsnachweise, Kontoauszüge und Quittungen vor, die zeigten, dass alles aus ihrem offiziellen Einkommen stammte.
Dass Igor kaum zum Familienbudget beitrug, außer gelegentlichen Einkäufen.
„Außerdem“, fügte sie hinzu, „habe ich Beweise, dass mein Exmann die Scheidung bereits vor dem Wohnungskauf plante, mit dem einzigen Ziel, die Hälfte der Wohnung zu bekommen.“
Damit übergab sie dem Gericht Ausdrucke der Nachrichten zwischen Igor und Max.
Igor wurde blass.
Sein Anwalt sah sich die Dokumente schnell an und runzelte die Stirn.
„Ich protestiere“, sagte er.
„Diese Nachrichten könnten gefälscht sein.“
„Dann soll der Beklagte sein Handy zur Prüfung vorlegen“, entgegnete Anja ruhig.
Die Verhandlung dauerte fast zwei Stunden.
Am Ende erkannte das Gericht die Wohnung als Anjas persönliches Eigentum an.
Die Gründe waren klar: Das Geld gehörte ihr, und die Absicht der Gegenseite, die Situation zu ihrem Vorteil auszunutzen, war bewiesen.
Igor verließ den Gerichtssaal wie ein finsterer Wolkenbruch.
Am Ausgang holte er Anja ein.
„Du hast die ganze Zeit Bescheid gewusst?“, fragte er.
„Ja.
Von Anfang an.“
„Und hast geschwiegen?“
„Was hätte das geändert? Du wärst sowieso deinen Weg gegangen.“
Er sah sie lange an, schüttelte dann den Kopf.
„Ich dachte, du wärst zu naiv, um solche Spiele zu spielen.“
„Dann hast du mich schlecht gekannt“, antwortete Anja.
Sie standen auf der Treppe vor dem Gericht – schon Ex-Eheleute.
In Igors Augen lagen Wut und Unverständnis.
In Anjas Augen Müdigkeit, aber nicht Schmerz, sondern Befreiung.
„Na gut“, sagte er, „dann soll es so sein.“
„Ja“, stimmte sie zu.
Er drehte sich um und ging zu seinem Auto.
Anja sah ihm nach, zog ihr Handy heraus und rief Lena an.
„Lena, es ist vorbei.
Die Wohnung bleibt bei mir.“
„Gut gemacht“, sagte die Schwester.
„Und wie fühlst du dich?“
Anja überlegte.
Wie fühlt sie sich? Erleichtert? Traurig? Leer?
„Frei“, sagte sie schließlich.
„Zum ersten Mal seit drei Jahren fühle ich mich frei.“
Abends saß sie in ihrer Wohnung – jetzt wirklich ihrer – und trank Tee.
Auf dem Tisch lagen das Gerichtsurteil und die Scheidungsdokumente.
Morgen würde das normale Leben wieder beginnen.
Sie müsste zur Arbeit gehen, Freunde treffen, neue Pläne machen.
Anja ging zum Fenster.
Die Stadt lebte ihr Leben – Lichter leuchteten, Autos fuhren, Menschen gingen.
Das Leben ging weiter.
Sie dachte an Igor.
Was macht er jetzt? Sitzt er mit Max in einer Bar und jammert über die Ungerechtigkeit der Welt?
Oder schmiedet er schon einen neuen Plan – eine andere Frau zu finden, die man betrügen kann?
Anja zuckte gleichgültig mit den Schultern.
Das geht sie nichts mehr an.
Sie nahm ihr Notizbuch, schlug die erste leere Seite auf und schrieb:
1. Schlösser austauschen.
2. Einen guten Makler finden.
3. Die Wohnung zum Verkauf vorbereiten.
Denn Anja Karpenko hatte endlich eine einfache Wahrheit verstanden: Das Leben ist zu kurz, um sich mit wenig zufrieden zu geben.
Drei Jahre sparte sie auf eine Einzimmerwohnung.
Jetzt wird sie für eine Dreizimmerwohnung sparen.
In einer guten Gegend.
Mit Blick auf den Park.
Sie schloss das Notizbuch, machte das Licht aus und lächelte.
Morgen beginnt ein neues Kapitel.
Und es wird genau so, wie sie es sich wünscht.