Und in den 90ern hat meine Mutter meinen Mann dank Bezugsscheinen organisiert.
Ihr glaubt mir nicht? Dann hört zu.
Heute, wo die Sonne meines Ehegatten bereits untergegangen ist und ich mich nur noch in den reflektierten Strahlen seiner Liebe wärme, erscheint unsere Geschichte in ihrer Schlichtheit fast märchenhaft.
Wir haben spät geheiratet.
Wir beide waren mit unserer Karriere beschäftigt.
Ich – Französisch, Studenten, Dissertation.
Er – Kriminelle, Operationen, Verhaftungen.
Und unsere Mütter hatten einen ungelebten Odem von Großmutters Zuneigung.
Unsere Mütter hießen beide gleich: Firdaws, übersetzt «paradiesische Haine».
Ihr Ziel war dasselbe: uns zu verheiraten und auf Enkelkinder zu warten.
So entstand die Verschwörung der Firdaws.
Setzt euch bequem hin.
Ich halte mich nicht lange auf, aber kurz wird’s auch nicht.
Stellt euch Kasan im Bezugsschein-Jahr 1991 vor, im November, Schlange für Hühner.
Damals hieß es: sie wurden vom Tresen „geworfen“, in der Nähe des ZUM.
Pro Person gab’s nach Bezugsschein zwei magerblaue Hähnchenleichen.
Meine Mutter brauchte drei – für einen Feiertag.
Eine Nachbarin in der Schlange stimmte zu, eines abzugeben.
So lernten sie sich kennen.
Bis wir endlich unsere Hühner erreichten, entdeckten sie ein gemeinsames Leid – Kinder, die noch nicht untergebracht waren.
Ein 30-jähriges Mädchen und ein 34-jähriger Junge.
Beim Abschied – in der Kälte nur mit krakeliger Handschrift auf einem Stück brauner Papierverpackung – ritzten sie ihre Adressen ein.
Um sich zu treffen und einen Plan für unser „zufälliges“ Kennenlernen zu entwickeln.
Und es hat geklappt! Vom Kennenlernen bis zum Standesamt waren nur sechs Tage.
Sechs Tage – sechs Seiten Leben.
Ich blättere sie euch vor.
Tag 1.
Seine Mutter kam zu meiner.
Sie flüsterten in der Küche beim Tee.
Dann wurde ich von der Schreibmaschine abberufen – meine Mutter bat mich, die Bekannte „bis zur Haltestelle zu begleiten“.
Das Gespräch mit Firdaws draußen – eine Mischung aus gesellschaftlichem Geplauder, Etiketteprüfung und intensiver Befragung.
Aber es gefiel mir, ihre Erwartungen zu erfüllen, ich kam richtig rein, und wir trennten uns beide recht zufrieden voneinander.
Tag 2.
Von seiner Firdaws kam über meine Firdaws eine mündliche Botschaft: ihr Sohn – ein Milizionär – werde mich heute um 18:15 Uhr beim Standesamt erwarten.
Heute!
Ihr wundert euch? Ich ehrlich gesagt auch.
Der Treffpunkt war kein Zufall.
Das Standesamt – guter Orientierungspunkt.
Auf seinen Stufen erkennt man leicht eine einsame Fremde.
Und vom Arbeitsplatz aus ist es auch nicht weit.
Um die Mutter nicht zu kränken – ging ich.
Spannend – wie ist er wohl, der Sohn der angenehmen Firdaws? Saifiyar, übersetzt „bewaffneter Freund mit dem Schwert“.
In unserem Fall war er bewaffnet mit einer Pistole.
Standesamt.
18:10.
Ich stehe.
Warte.
Pelz, Baskenmütze, Handschuhe – echtes Leder.
Parfümwolke französischer Noten.
Sorgfältig geschminkt – bereit, rotgefroren zu wirken.
18:20.
Ich stehe.
18:30.
Stehe weiterhin.
Wie eine Dummchen.
Niemand kommt.
Ich denke – wenn das ein Scherz war, dann ein gelungener.
18:35.
Verärgert gehe ich eiseskalte Stufen hinunter.
Ich stolpere und… falle in die Arme eines keuchenden Milizionärs mit offener Feldjacke.
Seine fordernden, ausdrucksstarken Augen lächeln:
– Nazija?
– Saifiyar?
Er nickt wie ein chinesisches Glöckchen, das Gesicht rot, man sieht, dass er gerannt ist, entschuldigt sich, sagt, er komme gerade von einer Operation, tippt auf seinen Holster.
Ja – bewaffneter Freund.
Na gut, ich verzeihe ihm.
– Wohin gehen wir?
Wir wohnten in einem Schlafbezirk, es gab keine Cafés in der Nähe.
Das war nicht unsere Zeit – einen Ort zu finden, um sich zu wärmen und zu reden, war schwierig.
– „Gehen wir dorthin?“ – sagt mein Begleiter zögernd, mit zugeknöpfter Jacke, und deutet auf ein Gemüsegeschäft gegenüber.
Meine Augen flogen hoch, nur meine gezupften Augenbrauen hielten sie zurück.
Mir schoss „As-tu perdu la tête?“ durch den Kopf, aber ich blieb still.
Stellt euch das erste romantische Date zwischen Kartoffeln und Rettich vor, im Duft von Sauerkraut? Ich – nein.
Also schaute ich ihm direkt in die Augen und sagte:
– Nein! Ins Gemüsegeschäft gehe ich nicht.
– Lasst uns zu mir gehen.
– Ganz in der Nähe.
– Meine Eltern sind nicht da.
– Ich werde Euch nicht überfallen, keine Angst, versprochen.
– Und wenn doch – Ihr habt ja eine Pistole?
Später lachte Saifiyar, dass ihn meine Offenheit sofort eingenommen habe.
Damals aber nahm er nur meinen Arm, und so gingen wir die Stufen hinunter und ich brachte den Mann zu mir nach Hause.
Am allerersten Tag! Nach 3 Minuten Kennenlernen.
Wir saßen drei Stunden beim Tee.
Der Gesprächspartner war kein dumpfer Bulle, sondern belesen, gebildet, bescheiden und elegant.
Kurz: ein würdiger Sohn der wunderbaren Firdaws.
Nach der ersten Stunde des Gesprächs gestand ich mir, dass ich dankbar war für die Hühner-Verschwörung unserer Mütter.
Tag 3.
Saifiyar schaute am Abend vorbei.
Nur kurz.
Er rief an, ich öffnete.
Im Flur tauchte die neugierige Mutter auf.
Vor den verblüfften Augen meiner Mutter und, ehrlich gesagt, vor meinen – küsste er mich auf die Wange.
Reichte mir zwei Theaterkarten.
Verbeugte sich korrekt, sagte: „Bis morgen!“, küsste mich auf die zweite Wange und ging.
Ich sah mir die Karten an.
Das Stück – morgen Abend, „Der Bräutigam mit dem Aktenkoffer“.
Meine Mutter kicherte nervös.
Dann sagte sie bestimmt: „Man muss die Karten nehmen!“.
Ich selbst war voller aufgewühlter Gefühle und hatte mich noch nicht entschieden.
Tag 4.
Im Theater saßen wir in der dritten Reihe.
Den Inhalt der Aufführung habe ich kaum mitbekommen, denn alle drei Akte war meine Aufmerksamkeit nur auf seine freche rechte Hand gerichtet, die im energiesparenden Modus mein linkes Knie und die glatte – wegen des satinierten kleinen schwarzen Kleides – obere Oberschenkelpartie erkundete.
Diese Hand weckte in mir erotische Fantasien und das Verlangen, den überfüllten Raum möglichst bald zu verlassen.
Ich suchte mit Blicken seine Augen, um einen Hinweis zu geben.
Aber er schaute ehrlich auf die Bühne.
Und die freche Hand lebte ihr eigenes Leben: streichelte mein empfindliches Knie…
Tag 5.
Er rief an.
Entschuldigte sich, dass er sich nicht sehen lasse wegen der Arbeit.
Und begann das Gespräch so:
– Wenn dich gerade jemand um heirate, was würdest du antworten?
– Ist dieser Jemand ein zufälliger Passant oder du?
– Gehen wir mal davon aus, ich.
– Wenn du es bist, dann hätte ich zwei Fragen.
– Frag.
– Ich mag es, mich gut anzuziehen.
– Modisch.
– Elegant.
– Teuer.
– Mein ganzes Gehalt geht für Kleidung drauf.
– Verstanden.
– Hör auf.
– Der Staat kleidet mich.
– Vom Hut bis zur Unterhose.
– Mein Gehalt muss für unser Leben reichen.
– Deines rechnen wir nicht mit.
– Gut.
– Zweite Frage.
– Ich habe viele Bekannte Männer.
– Kollegen, Studenten.
– Grüßen, bieten Fahrdienst an.
– Wäre das kein Grund zur Eifersucht?
– Ich habe Kolleginnen.
– Und auch nur bekannte Frauen.
– Sie sind ebenfalls höflich und grüßen mich.
– Das ist normal.
– Noch Fragen?
– Keine Fragen.
– Deine Antwort?
— Ich heirate dich.
— Ausgezeichnet.
– Morgen ab Mittag nehme ich mir frei, sei bereit mit dem Pass.
– Wir gehen gemeinsam zum Standesamt, um den Antrag zu stellen.
Tag 6.
Mittags trafen wir uns auf der Treppe desselben Standesamtes.
Stellten den Antrag.
Bekamen Scheine für Brautkleider, Eheringe, weiße Schuhe.
Und auch – für Sekt, Wodka, Lebensmittel.
Und unter anderem für Hühner, mit denen, gemäß der Verschwörung der Firdaws, alles begann.
Wir brauchten sechs Tage, um uns kennenzulernen und ein glückliches Leben in vollster Harmonie und Liebe zu verbringen – 28 Jahre lang.
Ein Jahr später beschenkten wir unsere Großmütter mit dem ersehnten Enkelkind.
Nun ist sie bereits eine Ehefrau, und ich warte auf einen Enkelsohn.
Ich hoffe, in ihm wird etwas von mir und meinem Ehemann sein.
Als Saifiyar in diesem Sommer von uns ging, begriff ich, dass die Liebe, die so profan begann, ein Märchen war, an das ich mich bis zu meiner letzten Stunde erinnern werde…
Autorin: Tatjana Zhegunova