— Eine Einladung? — Ciprian sah sie an, als hätte sie gerade gesagt, er müsse im Schlafanzug zum Jubiläum.
— Es ist der 60. Geburtstag meiner Mutter, nicht der Geburtstag irgendeiner Kollegin.
Tatiana biss sich auf die Lippe und erinnerte sich an all die vorherigen Treffen mit ihrer Schwiegermutter.
Von dem ersten Besuch, bei dem die Frau ihre Wohnung wie ein Immobiliengutachter inspizierte, bis zum letzten Weihnachten, als sie leise den Eintopf als „zu fade“ und ihre Frisur als „nachlässig“ kritisierte.
— Was sollen wir tun? — fragte sie, bemüht, neutral zu bleiben.
— Ich habe schon einen Tisch in diesem neuen italienischen Restaurant reserviert.
Das ist Mamas Favorit.
Dreißig Personen, die ganze Großfamilie kommt.
Tatiana fühlte ein Loch im Magen.
Ciprians Großfamilie bedeutete eine Armee von Tanten, Onkeln und Cousins, alle Elena, seiner Mutter, treu ergeben, alle bereit, jede Geste und jedes Wort von Tatiana zu analysieren.
— Hast du unser Sparguthaben fürs Haus ausgegeben? — fragte sie, ohne die Stimme zu erheben.
Ciprian nickte abwesend, schob sich ein Stück Brot in den Mund.
— Das war wichtig.
Mama plant diesen Tag seit Monaten.
Tatiana schloss für einen Moment die Augen und zählte innerlich bis zehn.
— Okay, verstanden.
Ich werde ein schönes Geschenk kaufen, — sagte sie und ging Richtung Schlafzimmer.
— Nicht nötig, — unterbrach ihn Ciprians Stimme.
— Ich habe ihr schon ein Set Goldschmuck gekauft.
Ich habe Mama den Katalog gegeben, damit sie aussuchen kann, was ihr gefällt.
— Und warum hast du mich nicht gefragt? — fragte Tatiana, spürte, wie Wut in ihren Schläfen pochte.
— Weil… — Ciprian sah auf, — das wollte ich dir eigentlich sagen.
Mama will eine Feier nur mit der Familie.
Tatiana blieb regungslos.
— Bin ich keine Familie?
— So habe ich das nicht gemeint, — Ciprian wich ihrem Blick aus.
— Nur… du kennst Mama, sie ist traditionell.
Sie sagt, es stört sie, dass du da bist.
Dass ihr schlecht wird, wenn sie dich sieht.
Seine Worte trafen wie ein Schlag.
Tatiana setzte sich langsam auf den Stuhl vor ihm.
— Und was hast du ihr gesagt?
— Ich habe gesagt, ich komme alleine, — antwortete er einfach.
— Ich bleibe ungefähr eine Woche.
Sie braucht Hilfe bei den Vorbereitungen und mit Gästen aus anderen Städten.
— Also bin ich nicht zur Geburtstagsparty meiner Schwiegermutter eingeladen und du fährst für eine Woche weg, — sagte Tatiana, die Worte klangen für sie selbst fremd.
— Mach daraus kein Drama, — Ciprian verdrehte die Augen.
— Du weißt, wie Mama ist.
Das ist nichts Persönliches.
Ihr versteht euch einfach nicht, das ist alles.
— Nichts Persönliches? — Tatiana stand plötzlich auf.
— Mein Mann sagt mir, seiner Mutter wird schlecht, wenn sie mich sieht, und das soll nichts Persönliches sein?
In jener Nacht schlief Tatiana auf dem Sofa, oder besser gesagt, sie starrte stundenlang an die Decke.
Als Ciprian am Morgen mit einem großen Koffer ging, rührte sie sich nicht aus dem Bett.
In den nächsten Tagen verfiel sie in eine Art Trance.
Sie ging zur Arbeit, antwortete mechanisch auf Fragen, funktionierte wie ein Roboter.
Erst am vierten Tag, als das Telefon klingelte und sie den Namen ihrer Freundin Ana auf dem Display sah, erwachte etwas in ihr.
— Ich habe Ciprian seit Tagen nicht gesehen.
Alles okay? — fragte Ana.
Tatiana begann zu lachen, ein Lachen, das in Weinen überging.
Sie erzählte Ana alles, die sofort mit einer Flasche Wein und einer Schulter zum Anlehnen kam.
— Warum akzeptierst du das? — fragte Ana direkt, nachdem sie alles gehört hatte.
— Du hast deine eigene Wohnung, eine Karriere, du bist schön und klug.
Warum bleibst du bei einem Mann, der seine Mutter an erste Stelle setzt?
Anas Worte trafen sie wie eine kalte Dusche.
Warum eigentlich?
Am siebten Tag, als Ciprian nach Hause zurückkehrte, duftete er nach teurem Parfum und lächelte entspannt, während Tatiana mit zwei Dokumenten am Küchentisch saß: dem Eigentumsnachweis der Wohnung und einem Scheidungsantrag.
— Was ist das? — fragte er und warf den Koffer in den Flur.
— Such dir aus, — antwortete sie ruhig.
— Entweder wir fangen an, uns wie eine richtige Familie zu verhalten, in der ich deine Priorität bin, nicht deine Mutter, oder du unterschreibst die Scheidung und ziehst aus.
Die Wohnung steht auf meinen Namen, das habe ich diese Woche überprüft.
Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Maske aus Wut und Überraschung.
— Du kannst nicht ernst sein.
Nach allem, was ich hier investiert habe…
— Was hast du investiert, Ciprian?
Außer dem Ersparten, das du gerade für das Jubiläum deiner Mutter ausgegeben hast?
Er öffnete den Mund zum Antworten, schloss ihn aber wieder.
Zum ersten Mal, seit sie ihn kennt, wirkte er sprachlos.
Der Weg nach vorne wird nicht einfach, wusste Tatiana.
Aber zum ersten Mal im letzten Jahr fühlte sie, dass sie wieder frei atmen konnte – in ihrem eigenen ruhigen Hafen.