Speranța drückte ihren Sohn fest an sich, überflutet von Tränen.
Sein Gesicht konnte sie nicht sehen, aber mit den Händen tastete sie seine Züge ab, fuhr mit den Handflächen durch sein Haar.
— Mutter, siehst du mich denn gar nicht?
— Nein, mein Schatz, seit fast drei Jahren sehe ich nichts mehr, nur Dunkelheit.
Krankheit und Tränen haben mir das Augenlicht genommen, aber jetzt, wo ich dich wiedergefunden habe, fühlt es sich an, als würde auch meine Seele wieder hell werden.
Mihai trat unsicher ins Haus, als würde er die Räume nicht wiedererkennen.
Ursu, der neben dem Ofen schlief, richtete sich plötzlich auf und begann drohend zu knurren.
— Ursu, beruhige dich!
Das ist unser Mihăiță, er ist nach Hause gekommen, sagte Speranța erstaunt über die Reaktion des Hundes, der sonst nie aggressiv war.
Aber das Tier knurrte weiter, das Fell am Rücken sträubte sich.
— Warte, Mama, lass mich mich erst an den Hund gewöhnen.
Seit wann hast du ihn?
— Seit ungefähr acht Jahren, mein Schatz.
Valentina hat ihn mir gebracht, als sie sah, dass ich gar nichts mehr sehen konnte.
Er war mein Schutzengel die ganze Zeit.
Mihai wich dem Hund aus und setzte sich an den Tisch.
Speranța bewegte sich sicher zur Küche.
— Ich muss dir etwas zu essen machen.
Bist du schwach?
Hast du dich sehr verändert?
— Keine Ahnung, Mama… Vielleicht.
Es sind viele Jahre vergangen.
Seine Stimme klang seltsam, tiefer als sie sie in Erinnerung hatte, mit einem Akzent, den sie nicht kannte.
— Wo warst du, Mihăiță?
Warum hast du dich nicht gemeldet?
Ich dachte, du wärst tot.
Mihai seufzte tief, bevor er antwortete:
— Ich hatte Probleme, Mama.
Einige Schulden.
Ich musste eine Weile verschwinden.
War in Russland, dann in der Ukraine.
Habe gearbeitet, wo ich konnte.
Wollte dich nicht belasten.
Speranța bereitete ein einfaches Essen vor, aber ihre Hände zitterten vor Aufregung.
Die Geschicklichkeit, die sie in den Jahren der Blindheit erlangt hatte, erlaubte ihr zurechtzukommen, doch etwas in der Stimme ihres Sohnes machte sie unsicher.
— Ich habe Anzeigen in Zeitungen geschaltet.
Ich habe dich überall gesucht.
— Du konntest es nicht wissen, Mama.
Aber jetzt bin ich hier.
Und… ich brauche einen Platz zum Bleiben für eine Weile.
Ursu knurrte weiter aus seiner Ecke und weigerte sich, sich dem Mann zu nähern.
In den nächsten Tagen fiel Speranța Merkwürdiges auf.
Mihai wusste nicht, wo Dinge im Haus lagen, obwohl er dort aufgewachsen war.
Einmal, als sie ihn bat, ihr das Fotoalbum aus der Jugend zu bringen, musste sie ihm genau beschreiben, wo es lag, obwohl es immer am selben Platz gewesen war.
An einem Abend, als Ileana zu Besuch kam, verhielt sich Mihai distanziert, fast kühl.
— Mihai, erinnerst du dich nicht an Ileana?
Sie ist seit ein paar Jahren unsere Briefträgerin.
Hat mir viel geholfen, als du nicht da warst.
— Nein, Mama, wie soll ich mich erinnern?
Ich war nicht hier.
Aber Speranța spürte, dass etwas nicht stimmte.
Ihr Mihăiță war immer charmant zu Mädchen gewesen, selbst wenn er sonst mit allen frech war.
Nachdem Ileana gegangen war, hörte die alte Frau, wie Mihai am Telefon in einer fremden Sprache sprach, die sie nicht verstand.
Er flüsterte, aber der Ton war angespannt.
— Mit wem hast du gesprochen, Mihăiță? fragte sie, als er zurück in die Küche kam.
— Ach, mit einem Freund aus Russland.
Der wollte wissen, wie es mir geht.
Speranța lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter.
Ihr Mihai hatte nie ausländische Freunde.
Und da war noch etwas — der Geruch.
Ihr Sohn roch immer nach billigem Tabak und starkem Aftershave.
Dieser Mann hatte einen anderen, feineren Geruch.
Eines Morgens, als Mihai schlief, tastete Speranța vorsichtig die Truhe unter dem Bett ab, wo sie die wertvollsten Erinnerungen aufbewahrte: Mihais Geburtsurkunde, sein erstes Foto, ein Milchzahn und eine Haarsträhne vom ersten Lebensjahr.
Sie nahm die Strähne zwischen die Finger und streichelte sie, fühlte die raue und glatte Struktur.
Sie erinnerte sich genau, dass Mihais Haar weich und wellig gewesen war.
Eines Tages begann Ursu wütend zu bellen.
Speranța hörte Schritte auf dem Weg und Lauras Stimme:
— Leonida, ich bin’s!
Ich bin mit Alexandru, meinem Sohn, gekommen, um dir im Garten zu helfen!
Mihai zuckte zusammen und sagte schnell:
— Mama, ich will jetzt mit niemandem sprechen.
Sag ihnen, ich bin beschäftigt.
Aber es war zu spät.
Laura und ihr Sohn waren schon im Hof.
— Guten Tag!
Wer sind Sie? fragte Laura misstrauisch.
— Das ist unser Mihăiță, Laura!
Er ist nach Hause gekommen! sagte Speranța stolz, doch ihre Stimme zitterte leicht.
— Mihai?
Dein Sohn?
Aber ich kenne Mihai, wir sind zusammen aufgewachsen!
Speranța spürte, wie ihr Herz immer schneller schlug.
Alexandru, der gleich alt war wie Mihai, kam näher.
— Du bist nicht Mihai.
Wer bist du?
Was suchst du hier?
Ursu bellte immer lauter, und Speranța spürte, wie der Mann neben ihr sich anspannte.
— Laura, das ist wirklich er.
Er hat sich nach all den Jahren verändert, sagte die Alte, doch Unsicherheit färbte ihre Stimme.
— Nein, Leonida.
Mihai hatte eine große Narbe im Gesicht, von einem Fahrradunfall in der sechsten Klasse.
Dieser Mann hat keine Narbe.
Der Mann machte einen Schritt zurück.
Speranța streckte zitternd die Hand aus und berührte sein Gesicht, suchte die Narbe, die sie so gut kannte – eine dicke Linie, die unter dem rechten Auge bis zum Kinn verlief.
Sie fand nichts.
— Wer bist du? flüsterte sie und zog die Hand zurück, als wäre sie verbrannt.
Der Mann antwortete nicht mehr.
Es gab ein Poltern und die Tür schlug zu.
Alexandru lief ihm nach, kam aber nach ein paar Minuten keuchend zurück.
— Er ist weggelaufen.
Sie hatten ein Auto um die Ecke geparkt.
Speranța fiel auf einen Stuhl, fühlte, wie die Realität um sie herum zu schwanken begann.
Ursu kam und legte seinen Kopf ruhig in ihren Schoß.
— Warum?
Warum sollte jemand so etwas tun? fragte sie mit leiser Stimme.
Laura setzte sich zu ihr und nahm ihre Hände in ihre:
— Ich glaube, es war einer dieser Immobilienmakler.
Wahrscheinlich wollte er dein Vertrauen gewinnen, um dich zum Hausverkauf zu überreden.
In den folgenden Wochen fand Speranța keine Ruhe.
Sie träumte von ihrem wahren Sohn, ihrem Mihăiță, der irgendwo umherirrte, vielleicht Hilfe brauchte.
Ileana kam öfter vorbei und half ihr, eine Anzeige bei der Polizei gegen den Hochstapler einzureichen, der versucht hatte, sie auszunutzen.
An einem regnerischen Abend, als der Wind stark gegen die Fenster peitschte, fing Ursu an, an der Tür zu bellen.
Speranța, inzwischen vorsichtiger, fragte mit fester Stimme:
— Wer ist da?
— Ich, Mama.
Dein Mihăiță.
Die Stimme war anders als die des Hochstaplers – rauer, vertrauter.
Speranța spürte, wie ihr Herz vor Freude aus dem Brustkorb sprang.
— Wie soll ich dir glauben?
Beweise mir, dass du mein Sohn bist!
Eine kurze Stille, dann sagte die Stimme:
— Erinnerst du dich, als ich acht Jahre alt war und vom Apfelbaum hinter dem Haus gefallen bin?
Ich hatte mir den Arm gebrochen, und du hast die ganze Strecke bis zum Krankenhaus geweint und mir Geschichten erzählt, damit ich den Schmerz vergesse.
Tränen flossen Speranțas Augen über.
Diese Erinnerung hatte sie nie jemandem erzählt.
Mit zitternden Händen öffnete sie die Tür.
Diesmal bellte Ursu nicht.
Im Gegenteil, er stürzte sich freudig auf den Fremden.
Speranța streckte die Hände aus und berührte das Gesicht des Mannes vor ihr.
Ihre Finger fanden die tiefe, vertraute Narbe und das wellige Haar ihres Sohnes.
— Mihăiță, bist du wirklich du?
— Ja, Mama.
Ich habe erfahren, dass jemand versucht hat, sich als ich auszugeben.
Es tut mir leid, dass ich so lange weg war.
Während Mihai sie umarmte, wusste Speranța, dass ihr wahrer Sohn endlich nach Hause zurückgekehrt war.
Sie brauchte keine Augen mehr, um die Wahrheit in ihrem Herzen zu erkennen.
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