Der kalte Wind kroch durch die verlassenen Gassen des Dorfes Sosnovca und wirbelte Schnee in die Ritzen der alten Häuser.
Ian Gordeev, ein ehemaliger Gefangener, ging entlang des Flusses, in einen dünnen, abgenutzten Mantel gehüllt.
Er war nach fünfzehn Jahren Gefängnis zurückgekehrt, entschlossen, einen Neuanfang zu wagen.
Doch die Dorfbewohner blickten ihm misstrauisch nach – alte Grolls und Gerüchte über seine Vergangenheit lagen noch in der Luft.
Langsam ging er, den Kopf gesenkt, als er einen Schrei hörte.
Einen kurzen, verzweifelten Schrei.
Er hob den Blick und sah eine Frau, die sich im schwarzen Wasser des zugefrorenen Flusses abmühte.
Das dünne Eis war gebrochen, und sie kämpfte, sich herauszuziehen, doch die schweren Kleider und die Kälte zogen ihren Körper nach unten.
Ohne zu zögern rannte Ian.
Er warf seinen Mantel an das Ufer und stürzte sich in das beißend kalte Wasser.
Das Eis schnitt seine Haut, aber er erreichte die Frau.
Sie weinte und schrie, hielt ihre Hand auf ihren Bauch – sie war schwanger.
„Halt dich an mir fest!“, rief er, und mit aller verbliebener Kraft zog er sie ans Ufer.
Er schaffte es, sie hochzuziehen und sie zitternd ans Land zu schleifen.
Ein Dorfbewohner, der den Lärm gehört hatte, kam herbeigelaufen und brachte sie beide ins nächstgelegene Haus.
Der Dorfarzt wurde hastig gerufen.
Die ganze Nacht über saß Ian, nass und erfroren, auf einem Stuhl in der Ecke des Raumes und sah zu, wie der Arzt sich um die Frau kümmerte.
Am nächsten Morgen war das ganze Dorf erstaunt.
Das Gerücht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: „Ian Gordeev hat Maria Pâslari vor dem Tod gerettet! Und er wäre fast selbst vor Kälte gestorben!“
Die Alten, die ihn noch gestern gemieden hatten, sahen ihn nun mit anderen Augen.
Einige nickten zustimmend und flüsterten: „Vielleicht hat sich der Mann geändert…“
Als Ian in die Straße trat, in trockene, vom Priester geliehene Kleidung gehüllt, blieben die Leute stehen und starrten ihn an.
Er spürte einen Schauer, aber nicht vor Kälte – sondern vor Angst.
Doch diesmal war kein Hass in ihren Augen.
Es war Staunen… und Dankbarkeit.
Maria, mit blassen Wangen, aber einem Lächeln auf den Lippen, trat ebenfalls heraus.
Langsam ging sie auf Ian zu und hielt sich an ihrem runden Bauch fest.
„Danke“, sagte sie mit leiser, aber klarer Stimme.
„Du hast mir das Leben gerettet. Und das Leben meines Kindes.“
Ian senkte den Kopf, verlegen.
Er wusste nicht, was er sagen sollte.
Ein Leben lang hatte er den Blicken der Menschen entzogen, und nun sahen alle ihn mit anderen Augen.
An diesem Tag kam der Bürgermeister des Dorfes zu ihm mit einem Angebot: „Komm, arbeite mit uns, Ian. Wir brauchen ehrliche Menschen. Und du… du hast bewiesen, dass du eine zweite Chance verdienst.“
Ian konnte seinen Ohren nicht trauen.
Nach all den Jahren voller Fehler und Reue streckte ihm endlich jemand die Hand entgegen.
Er sah zu Maria, zu den Dorfbewohnern, die mit einem Funken Hoffnung auf seine Antwort warteten.
Und dann, zum ersten Mal seit vielen Jahren, lächelte Ian.
„Ja“, sagte er.
„Ich will neu anfangen.“
Und so wurde im kleinen Dorf Sosnovca, unter dem bleigrauen Himmel und dem eisigen Wind, eine neue Lebensgeschichte geboren – eine, in der der gefallene Mensch seinen Platz wieder unter den Seinen fand.
Wenn dir die Geschichte gefallen hat, vergiss nicht, sie mit deinen Freunden zu teilen!
Gemeinsam können wir die Emotion und Inspiration weitertragen.