Sie erwiderte nur mit wenigen Worten: „Madam, Sie haben kein Ticket.“
„Bitte verlassen Sie den Bus“, knurrte er schroff, während er auf die gebrechliche Frau in ihrem alten Mantel blickte, die sich kaum am Haltegriff festhielt, um nicht hinzufallen.
Der Bus war fast leer.
Draußen fiel nasser Schnee, und graue Dämmerung hüllte die Stadt ein.
Sie schwieg und presste nur ihre abgenutzte Einkaufstasche fester an sich – jene Tasche, mit der man sonst die Einkäufe trägt.
Die alte Dame tappte langsam zum Ausgang.
Jeder Schritt kostete sie große Mühe.
Mit lautem Krachen öffneten sich die Türen, und ein eisiger Windstoß traf sie ins Gesicht.
Sie blieb auf der Stufe stehen, ohne den Blick vom Fahrer abzuwenden.
Und dann sagte sie leise, aber bestimmt:
„Ich habe Menschen wie Sie einst mit Liebe zur Welt gebracht.
Und jetzt darf ich nicht einmal sitzen.“
Damit stieg sie hinab und ging fort.
Der Bus blieb mit offenen Türen stehen.
Der Fahrer drehte sich weg, als wolle er seinen eigenen Gedanken entfliehen.
Irgendwo im hinteren Teil des Busses schluchzte jemand.
Ein junges Mädchen am Fenster wischte sich die Tränen ab.
Ein Mann im Mantel erhob sich und ging zur Tür.
Einer nach dem anderen verließen die Fahrgäste den Bus und ließen ihre Tickets auf den Sitzen liegen.
Nach einigen Minuten war der Bus leer.
Nur der Fahrer blieb im Schweigen sitzen, und ein unausgesprochenes „Es tut mir leid“ brannte in ihm.
Die Großmutter schritt derweil langsam die verschneite Straße entlang.
Ihre Silhouette verlor sich im Dämmerlicht, doch jeder ihrer Schritte zeugte von Würde.
Am nächsten Morgen kam der Fahrer wie gewohnt zur Arbeit.
Alles schien vertraut: die frühe Stunde, die Thermoskanne mit Kaffee, die Route, die Liste der Fahrten.
Doch etwas in ihm hatte sich unwiderruflich verändert.
Sein Inneres aber konnte die Unruhe nicht abschütteln.
Er hatte kaum ein Auge zugemacht.
Immer sah er ihr müdes, nicht zorniges, nicht gekränktes, sondern schlicht erschöpftes Gesicht vor sich.
Und die Worte, die ihn verfolgten:
„Ich habe Menschen wie dich einst mit Liebe zur Welt gebracht.“
Er fuhr seine Strecke und erwischte sich dabei, wie er die Gesichter älterer Menschen an den Haltestellen besonders aufmerksam musterte.
Er wünschte sich, sie wiederzufinden, wusste aber selbst nicht genau, warum.
Um um Verzeihung zu bitten? Zu helfen? Oder wenigstens zu gestehen, dass es ihm peinlich war.
Eine Woche verging.
Eines Abends, als die Schicht zu Ende ging, bemerkte er an einer Haltestelle beim alten Markt eine vertraute Gestalt – klein und gebückt.
Die gleiche Tasche, derselbe Mantel.
Er hielt den Bus an, öffnete die Türen und stieg aus.
„Großmutter…“, flüsterte er.
„Verzeihen Sie mir. Damals… ich hatte Unrecht.“
Sie hob die Augen zu ihm.
Und plötzlich lächelte sie sanft.
Ohne Vorwurf, ohne Groll.
„Das Leben, mein Sohn, lehrt uns alle etwas. Hauptsache, man hört zu. Und du – du hast zugehört.“
Er half ihr wieder in den Bus und setzte sie auf den vorderen Platz.
Unterwegs nahm er seine Thermoskanne und bot ihr Tee an.
Sie fuhren schweigend weiter.
Aber es war eine besondere Stille – warm und hell.
Es schien, als fühlten sich beide ein wenig leichter.
Seitdem trug er stets einige Fahrmarken in der Tasche – für jene, die kein Ticket kaufen konnten.
Vor allem für Großmütter.
Jeden Morgen vor Schichtbeginn dachte er an ihre Worte.
Sie waren für ihn nicht nur Erinnerung an Schuld, sondern auch Lektion – ein Mensch zu sein.
Der Frühling kam plötzlich.
Der Schnee schmolz rasch, und an den Haltestellen tauchten die ersten Schneeglöckchen auf – Großmütter verkauften sie zu dritt in Zellophan eingewickelt.
Er begann, ihre Gesichter wiederzuerkennen, grüßte und half ihnen beim Einsteigen.
Manchmal lächelte er einfach nur – und sah, wie wichtig das für sie war.
Doch die besagte Großmutter traf er nie wieder.
Tagtäglich suchte er nach ihr.
Fragte bei anderen nach, beschrieb sie.
Manch einer meinte, sie wohne vielleicht beim Friedhof hinter der Brücke.
An freien Tagen fuhr er sogar ein paar Mal dorthin – ganz ohne Uniform, ohne Bus.
Einfach um zu suchen.
Eines Tages fand er schließlich ein schlichtes hölzernes Kreuz mit einem ovalen Foto.
Jene Augen.
Er stand lange schweigend da.
Die Bäume rauschten, Sonnenstrahlen brachen durch die Zweige.
Am nächsten Morgen lag auf dem Beifahrersitz seines Busses ein kleiner Strauß Schneeglöckchen.
Er hatte sie selbst gepflückt.
Daneben stellte er ein selbst gebasteltes Pappschild auf:
„Ein Platz für jene, die vergessen wurden. Aber ihr habt uns nicht vergessen.“
Die Fahrgäste lasen den Text schweigend.
Manche lächelten.
Manche legten eine Münze auf den Sitz.
Und der Fahrer fuhr einfach weiter.
Langsamer, aufmerksamer.
Manchmal bremste er einen Tick früher – damit die Großmutter noch rechtzeitig einsteigen konnte.
Weil er jetzt verstanden hatte:
Jede Großmutter ist jemandes Mutter.
Jedes Lächeln ist ein dankbares „Danke“.
Und jedes „nur ein paar Worte“ kann ein Leben verändern.