Eine Liebe, die nie verblasste.
Der ältere Mann in meinem Café bestellte immer Abendessen für zwei.
Aber niemand kam jemals.
Monatelang beobachtete ich, wie er am Fenster saß, auf den leeren Stuhl ihm gegenüber starrte und mit seinen Fingern gedankenverloren den Rand seiner Serviette nachzeichnete.
Er aß nie viel, blieb nie lange nach dem Teetrinken.
Eines Abends, als der Regen sanft gegen das Glas trommelte, fragte ich schließlich:
„Herr, wenn Sie mir die Frage stellen… Auf wen warten Sie?“
Er sah auf, seine wettergegerbten Augen erfüllt von etwas zwischen Hoffnung und Trauer.
„Ihr Name war Susan. Und vor einem Jahr ist sie verschwunden.“
Eine unvollendete Liebesgeschichte.
Toms Stimme war ruhig, aber ich konnte den Schmerz darunter hören.
„Wir haben uns hier getroffen, in diesem Café.
Ich war immer zu früh, und sie war immer zu spät.
Sie kam immer hastig herein, verwirrt, lachte über ein großes Missgeschick – ein verlorener Schal, ein durchgebrannter Hund, ein unerwartetes Gespräch mit einem Fremden.
Sie ließ das Leben wie eine Geschichte erscheinen, die darauf wartete, entfaltet zu werden.“
Er lächelte schwach, aber das Lächeln verschwand schnell.
„Vor einem Jahr, an meinem Geburtstag, bat ich sie, mich hier zu treffen.
Ich wollte ihr einen Heiratsantrag machen.“
Er griff in die Tasche seines Mantels und zog eine kleine Samtkiste heraus.
Seine Finger strichen zärtlich darüber, wie über eine zarte Erinnerung.
„Ich saß hier stundenlang und wartete.
Sie kam nie.
Keine Anrufe, keine Nachrichten.
Einfach… weg.“
Ich hielt mich am Tisch fest, mein Herz zog sich zusammen.
„Und du hast nie herausgefunden, was passiert ist?“
Er schüttelte den Kopf.
„Ich habe es versucht.
Ich habe gesucht.
Aber es war, als wäre sie in Luft aufgelöst.“
Etwas in mir weigerte sich, dieses Ende zu akzeptieren.
„Hast du ein Bild?“ fragte ich impulsiv.
Er zögerte, bevor er ein abgenutztes Foto aus seiner Brieftasche zog.
Ich betrachtete ihr Gesicht – die warmen Augen, das schelmische Lächeln.
In diesem Foto war Leben, eine Präsenz zu stark, um einfach zu verschwinden.
„Komm am Montag wieder,“ sagte ich, während ich das Bild zurückgab.
„Ich glaube, ich kann helfen.“
Eine verzweifelte Suche.
Ich war keine Detektivin.
Ich hatte keine Erfahrung darin, vermisste Personen zu finden.
Aber ich wusste eines – niemand verschwindet ohne Spur.
Ich durchforstete alte Zeitungen, suchte in Online-Datenbanken und sah mir sogar lokale Anschlagtafeln an.
Nichts.
Keine Unfälle, keine Vermisstenmeldungen, keine Nachrufe.
Aber dann fiel mir etwas ein – Krankenhäuser.
Wenn ihr in dieser Nacht etwas passiert wäre, wenn sie zusammengebrochen oder verletzt worden wäre, wäre sie in die nächstgelegene Notaufnahme gebracht worden.
Ich rief bei meiner Freundin Sarah, einer Krankenschwester, einen Gefallen ein, die widerwillig zustimmte, mir zu helfen.
„Du schuldest mir ein Jahr lang Kaffee,“ murmelte sie, während wir durch die Krankenhausakten blätterten.
Minuten vergingen. Meine Hoffnung schwand. Und dann—
„Hier.“
Ich erstarrte und starrte auf die Akte vor mir.
Susan war in der Nacht, in der sie verschwand, aufgenommen worden. Keine ID. Schwere Kopfverletzung. Gedächtnisverlust.
Niemand war gekommen, um sie abzuholen. Es war keine Vermisstenanzeige unter ihrem Namen eingereicht worden.
Aber es gab eine Kontakttelefonnummer. Ich wählte sie, meine Hände zitterten.
Eine müde Stimme antwortete. „Hallo?“
„Es tut mir leid, dass ich so spät anrufe.
Mein Name ist Emma. Ich suche nach Susan Wilson.
Ich glaube… ich glaube, sie könnte Ihre Mutter sein.“
Stille.
Dann ein tiefer, zitternder Seufzer.
„Sie hat in dieser Nacht alles verloren – ihre Vergangenheit, ihren Namen.
Aber es gibt eine Sache, die sie nie losgelassen hat. Einen Ort. Einen Namen.“
Ich schloss die Augen. „Tom.“
„Ja.“
Das Wiedersehen
Tom kam am Montag im Café an, gekleidet in seinen besten Anzug.
Seine Hände zitterten leicht, als er das Tischtuch glatt strich.
„Sie ist hier,“ flüsterte ich und nickte zum Fenster hin.
Eine Frau saß im Rollstuhl draußen, die Hände auf ihrem Schoß gefaltet.
Ihr Haar war grauer als auf dem Foto, ihr Körper schmaler.
Tom schluckte schwer und trat einen Schritt vor.
„Susan?“
Ihre Augen zuckten zu ihm. Sie studierte sein Gesicht, etwas regte sich hinter ihrem Blick. Eine Pause…
Dann ein atemloses Flüstern. „Tom?“
Tränen stiegen ihm in die Augen, als er sich neben sie kniete und seine Hände ihre fand.
„Ich bin’s, Liebes. Ich habe gewartet.“
Ihre Lippe zitterte. „Ich dachte, ich hätte dich verloren.“
Tom legte die Hand an ihre Wange, seine Stimme brach. „Du kannst mich nie verlieren.“
Aus seiner Jackentasche zog er die gleiche Samtschachtel, die er ein Jahr lang getragen hatte.
Er öffnete sie und zeigte den Ring, der genauso lange gewartet hatte wie er.
„Susan… willst du mich heiraten?“
Tränen liefen über ihre Wangen. „Ja, Tom. Tausendmal ja.“
Er atmete erschöpft aus und drückte einen Kuss auf ihre Knöchel.
Hinter ihnen hielt ihre Tochter sich den Mund zu, erstaunt.
Sie hatte ihre Mutter noch nie so lebendig gesehen.
Und zum ersten Mal seit einem Jahr war Toms Tisch nicht mehr für zwei gedeckt.
Er war erfüllt von Liebe, Lachen und dem Versprechen, dass manche Geschichten nicht unvollständig enden sollen.